JA zum Covid-Gesetz - eine vorläufige Einordnung der Debatten
Der Entscheid für die Impfung ist ein Moment der Solidarität: Wir schützen uns und andere. Je schneller wir die nötige Impfquote erreichen, desto eher können wir auf andere Massnahmen verzichten und uns selbst wieder als soziale Wesen erfahren – so zumindest meine Hoffnung. Und zugleich ist die Impfung nicht der einzige Ausdruck, den Solidarität in der Krise hat. Genauso wichtig ist es, die Grenze des Gegenübers, seinen Körper und seine Gesundheit zu respektieren, oder im Quarantänefall Einkäufe zu übernehmen – und wo immer möglich Verantwortung zu teilen.
Der rechte Spaltungsdiskurs
Seit Monaten bearbeitet die politische Rechte das Feld, befeuert eine Spaltung, die es schon vor Corona gab, und schürt Verunsicherung mit alternativen Fakten. Dabei wird die Geschichte der Ausgrenzung sehr kohärent erzählt und trifft zumindest teilweise auf reale Ausgrenzungserfahrung. Täter und Opfer sind schnell ausgemacht und man befindet sich als weisser Mittelschicht-Mensch plötzlich in einer politischen Genealogie mit Sophie Scholl und George Floyd. Rassismus und Antisemitismus werden damit salonfähig gemacht. Hierin liegt ein politisches Ziel der Rechten. Sie sind damit durchaus erfolgreich – nicht zuletzt, weil es uns zu wenig gelingt, Widersprüche fruchtbar zu machen und verbindende soziale Forderungen aufzustellen, die über Bundesratsbeschlüsse hinaus gehen.
Die Möglichkeit sozialer Teilhabe hängt nicht erst, seit Tests kostenpflichtig sind, von der individuellen Finanzkraft ab. Kulturangebote, Kinobesuch oder ein Feierabendbier mit Freund:innen sind schon längst Teil einer sozialen Frage, die nun aber auf die Zertifikatspflicht reduziert wird. Dabei haben die ökonomischen Verhältnisse schon lange vor Corona Menschen von sozialer Teilhabe ausgeschlossen.
Insofern mögen es selbsternannte «Freiheitstrychler» sein, die aktuell recht laut ihren Ausschluss beklagen, aber soziale Spaltung ist deutlich vielfältiger und eben auch eine Klassenfrage. Die Pandemie zeigt auch, wer Zugang zu guter Gesundheitsversorgung hat und Klassenprivilegien geniesst, eine grosse Wohnung hat oder einen Garten, stabiler durch die Pandemie kommt. Global betrachtet entscheiden Herkunft und Einkommen auch, ob man einen schweren Covid 19 Verlauf überlebt oder nicht.
Zudem sind die Erwerbsentschädigungen an Faktoren gebunden, die Klassenfragen sind. „Kleine“ Kunstschaffende und Menschen mit tiefen Einkommen erhalten nach wie vor zu wenig Unterstützung.
Es gibt also durchaus linke und wichtige Kritik an den Massnahmen, genauso, wie es linke Argumente gibt, die Massnahmen zu befürworten. Wir erachten beispielsweise das Impfen als eine wirksame Massnahme zum Schutz von Menschenleben. Eine ebenfalls wirksame Massnahme zum Schutz vor Ansteckung ist das Testen. In diesem Sinne sind die Stimmen, die das Einführen des Zertifikats als einen Weg zu mehr Freiheit und Sicherheit sehen, verständlich. Es gibt aber auch linke Bedenken, die von Überwachung, Datenschutz, Kontrolle und Ausgrenzung sprechen. Auch diese sind nachvollziehbar.
Die Facts zum Covid‐19‐Gesetz
Das Covid-19-Gesetz ist die rechtliche Grundlage für das Covid-Zertifikat. Aber es ist noch mehr: Mit der Änderung des Gesetzes im März 2021 hat das Parlament die Bundesbeiträge zur finanziellen Abfederung der Massnahmen erhöht und Finanzhilfen auf weitere betroffene Berufsgruppen ausge weitet unter anderem den Erwerbsersatz für Selbstständigerwerbende, die Finanzhilfen für Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung oder die Finanzhilfen für Kulturschaffende. Das Gesetz regelt die Entschädigungen für überkantonale Publikums anlässe, die wegen Corona nicht stattfinden können. Wird das Covid-19-Gesetz nicht angenommen, werden diese finanziellen Mittel ab März 2022 nicht mehr automatisch zur Verfügung stehen.
Ohne Zertifikat würde die Schweiz in Europa alleine stehen, was nicht nur im grenzüberschreitenden Personenverkehr negative Auswirkungen hätte. Für uns alle würden Geschäftsreisen und Ferien im Ausland deutlich aufwendiger und der Zugang zu manchen Ländern fast blockiert.
Zu diesem Gesamtpaket sagte BastA! an der Mitgliederversammlung vom 29. September deutlich JA.
Das soll nicht heissen, dass die aktuelle Situation zufriedenstellend ist. Unter anderem finde ich es wichtig, sich für die kostenlosen Tests einzusetzen. Weil das Testen in dem Zertifikatssystem eine Alternative anbietet, muss es weiter gratis bleiben. Auch kostenlos sollten die nötigen Hygieneartikel werden Desinfektionsmittel und Masken. Die öffentliche Gesundheitsversorgung, inklusive psychiatrisch psychotherapeutischer Betreuung, muss (was wir auch ohne Corona wissen) dringend ausreichend ausgebaut und von dem Druck der gewinnorientierten Privatisierung befreit werden. Der Datenschutz muss bei allen Massnahmen gewährleistet sein. Inter national gesehen müssen die Patente endlich freigegeben werden und global muss an eine solidarische Verteilung von Impfungen und Tests gedacht werden.
Den Menschen und der Wirtschaft hilft es kaum, die Massnahmen zu umgehen und immer wieder mit neuen Pandemiewellen zu kämpfen. Vielmehr sollten die Massnahmen klug und konsequent eingesetzt und die Nebenwirkungen der Massnahmen systemisch und solidarisch gemildert werden.