Une seule solution: révolution?
Aufwertung oder Gentrifizierung?
Kleinbasel hat sich in den vergangenen zwei/drei Jahrzehnten stark gewandelt. Das Rheinufer wurde umgestaltet und ist heute ein Anziehungspunkt, der weit über das Quartier hinausstrahlt. Dasselbe gilt für die kommerziellen Zwischennutzungen im Hafenareal Klybeck. Wohnstrassen sind eingerichtet worden. Auf dem Matthäuskirchplatz hat sich ein Wochenmarkt etabliert. An der Klybeckstrasse öffneten elegante Cafés, Galerien und Boutiquen ihre Pforten. Unmittelbar am Rande des Rotlichtviertels verwöhnt das Restaurant «Roter Bären» seine Gäste (13 Gault-Millau-Punkte). Am Erasmusplatz können ökologisch bewusste und finanzkräftige Kund:innen in den beiden Lädeli «Basel unverpackt» und «lokal» Lebensmittel einkaufen. Kurz: Kleinbasel ist zu einem trendigen Quartier geworden.
«Aufwertung» nennen diesen Prozess die einen, «Gentrifizierung» kritisieren andere. Es ist noch gar nicht so lange her, da haben Aktivist:innen neu entstandene Läden, Galerien, Cafés und Boutiquen im Kleinbasel angegriffen, Schaufenster eingeschlagen und die Wände mit Parolen gegen die Verdrängung besprayt. In der Analyse haben diese Aktivist:innen meines Erachtens insofern recht, als die angeprangerten Einrichtungen tatsächlich Ausdruck des Gentrifizierungsprozesses sind. Aber sie sind nicht dessen Ursache. Der Protest richtete sich gegen die falschen Akteure.
Aufwertung ist ja an sich nichts Schlechtes, im Gegenteil! Wer wünscht sich nicht mehr Wohn und Lebensqualität, mehr Grün, verkehrsberuhigte Strassen, eine vielfältige Gastronomie etc. Ich schätze den Matthäusmarkt sehr, auch wenn ich dort kaum meine kurdischen und türkischen Freund:innen antreffe, sondern vor allem besser situierte Bekannte aus meinem einheimischen linken Umfeld. Und «unverpackt» oder «lokal» einzukaufen ergibt aus ökologischer Sicht durchaus Sinn, auch wenn sich das nicht alle leisten können.
Aufwertung der Quartiere heisst aber unter kapitalistischen Bedingungen vor allem: Aufwertung der Liegenschaften. Finanzinstitute und andere Investoren wittern lukrative Anlagemöglichkeiten. Massenkündigungen und Totalsanierungen sind die Folge. Die Mieten steigen. Kaufkräftigere Gesellschaftsschichten verdrängen die weniger begüterten. Gentrifizierung heisst auf gut Deutsch: Vertreibung der ärmeren Bevölkerung mit der Mietzinspeitsche! Und das stellt die Linke vor ein Dilemma: Sollen wir nun Aufwertungen bekämpfen? Das kann es ja nicht sein! Aber ist «Aufwertung» unter kapitalistischen Bedingungen denkbar ohne Verdrängung? Ich hab da meine Zweifel.
Klybeckareal: verpasste Chance
In den kommenden Jahren wird sich dieses Dilemma noch zuspitzen. Die Diskussionen um den neuen Stadtteil, der auf den Industriebrachen im Klybeck entstehen soll, laufen schon heiss. Die Linke pocht auf eine gute «soziale Durchmischung». Aber wie viel «Durchmischung» darf es denn sein? 30% sogenannt «günstiger» Wohnraum, oder 50%, oder sogar noch mehr? Wie auch immer, die Mieten in den Neubauwohnungen werden wesentlich höher sein als diejenigen der günstigen Wohnungen im Quartierumfeld, und je mehr finanzkräftige Mieter:innen ins Stadtviertel ziehen, desto interessanter wird es für private Grossinvestoren, auch die schon bestehenden Liegenschaften «aufzuwerten». Ist die Rede von der «sozialen Durchmischung» also mehr als das Feigenblatt, das es der Linken erlaubt, Verdrängungsprojekten zuzustimmen, ohne vor Scham zu erröten? Ist sie mehr als der kleinbürgerliche Traum von der Aufhebung der Klassengegensätze, ohne, dass es jemandem weh tut? Die Reichen wollen sich ja auch nicht «sozial durchmischen», die wohnen lieber dort, wo man sich noch mit Namen, Abstammung und Vermögen kennt.
Warum also bauen wir auf dem Klybeckareal nicht einen Stadtteil exklusiv für Menschen mit geringer Kaufkraft, wie es dem Quartierscharakter entsprechen würde? Ein wohnliches Getto an bester Lage gewissermassen, mit grösstmöglicher Wohnqualität? Doch für ein solches Projekt würde sich kein Geldgeber finden, und der Kanton hat die Chance verpasst, das Areal selbst zu kaufen. Wohnpolitik heisst für unsere Regierung ja seit jeher vor allem eines: Gute Rahmenbedingungen für private Investoren zu schaffen!
Was also tun?
Letztlich bleibt nur ein Ausweg aus dem beschriebenen Dilemma: Das knappe Gut Boden müsste der Spekulation entrissen und ins Eigentum des Staates oder gemeinnütziger Gesellschaften überführt werden. Wohnen ist ein Grundbedürfnis, dessen Befriedigung in den Aufgabenbereich des Service public gehört. Die Berliner Stimmberechtigten haben mit der Zustimmung zur Initiative «Deutsche Wohnen und Co. enteignen» einen kleinen Schritt in diese Richtung getan. Auch wir können einen solchen Schritt tun, indem wir ein überzeugtes Ja zur Initiative für einen echten Wohnschutz in die Urne legen. Der Gentrifizierungsprozess wird dadurch zwar langfristig nicht gestoppt, aber zumindest verlangsamt. Und so haben wir etwas mehr Zeit, radikalere Schritte auszuhecken und umzusetzen.
Martin Flückiger