Hoffnung – ein Element sozialistischer Politik

Hoffnung als Mittel zur linken Organisierung irritiert vielleicht auf den ersten Blick. Immerhin sei Hoffnung doch eher ein religiöser Begriff und man müsse doch jetzt handeln, anstatt zu hoffen. Dies ist aus einer materialistischen, marxistischen Betrachtungsweise sicher richtig – aber kein Widerspruch.

AI generiert mit Chat GPT

Ich bin zu tiefst überzeugt, dass der Mensch ohne eine Art von Hoffnung auf eine andere Welt kaum zu Widerstand und Revolte fähig ist. Aufgrund der aktuellen Weltlage bleibt mir ohne Hoffnung nur noch die Resignation und Zynismus. Sie ist damit für mich ein wichtiges Element zur Fähigkeit, sozialistische Politik zu machen.
Persönlich kam ich zur Erkenntnis, dass mein Engagement für eine soziale gerechte Welt im Hier und Jetzt eng mit der Hoffnung auf eine befreite Gesellschaft ohne kapitalistische Herrschaft verbunden ist. Sie ist also stets auch ein innerer Antrieb, der auch etwas «Religiöses» hat. 
Bei all den aktuell herrschenden Krisen und Kriegen und dem daraus folgenden Elend für viele Menschen sowie dem Erstarken der extremen Rechten und faschistischer Bedrohung ist es schliesslich diese Hoffnung auf eine sozial gerechtere Welt und ein besseres Leben für alle, die mein Engagement antreibt und mir trotz Ohnmacht Zuversicht gibt. Ohne Utopie lässt sich zwar überleben – aber ohne Utopie lässt sich kaum radikale linke Politik machen.

Revolutionäre Realpolitik

Dieses Thema greift auch Rosa Luxemburg auf, wenn sie revolutionäre Realpolitik einfordert. Sie schlägt vor, unseren Aktivismus und unsere Alltagspolitik an unserer Vision auszurichten. Damit dient die Utopie als Kompass. 

Nur Utopien sind realistisch

Sozialismus erzeugt einen Horizont, wofür wir gemeinsam kämpfen, wir gemeinsam Solidarität leben und gemäss der US-amerikanischen Anarchistin Emma Goldmann auch gemeinsam tanzen sollten (“If I can’t dance, I don’t want to be a part of your revolution“). 
Unser Einsatz zur Verteidigung der ökologischen Grenzen und für den Erhalt einer auch für kommende Generationen lebenswerten Erde sowie unser Kampf zur Überwindung einer kannibalistischen kapitalistischen Gesellschaft ohne Rassismus und für eine geschlechtergerechte demokratische Gesellschaft –also kurz für eine bessere Welt für alle, kommt ohne Hoffnung nicht zum Ziel. Wenn Utopie nicht mit Hoffnung verbunden werden kann – von wo nehmen wir all unsere Energie, unseren Mut und unsere Freude? Wie können wir ohne Hoffnung und Vision Lust auf Veränderung machen? 
Mit dem Motto «Hoffnung organisieren» hat die Partei Die Linke an ihrem diesjährigen Parteitag in Chemnitz mir und vielen anderen aus dem Herzen gesprochen.

Hoffnung dient damit nicht nur der inneren Organisierung, sondern auch der kollektiven Mobilisierung, die nötig ist, um gemeinsam an dieser anderen Welt zu arbeiten.

BastA!, die sich als feministische und ökosozialistische Partei mit Bewegungscharakter begreift und für Solidarität und soziale Gerechtigkeit in Basel, in der Schweiz und auf der Welt kämpft, kann ich mir ohne Hoffnung auf eine Utopie nicht vorstellen. 
Besonders in Zeiten, in denen autoritäre bis faschistische Regimes immer mehr Einfluss gewinnen, müssen wir die Hoffnung wieder beleben und politisieren, um der Resignation, der Einsamkeit,, dem Rückzug zu begegnen. Der Psychologe und Philosoph Ernst Bloch war sozusagen der Anwalt einer politischen Hoffnung und hat dies in seinem Lebenswerk «Das Prinzip Hoffnung»  ausgearbeitet. Gemäss Bloch werden gesellschaftliche Kämpfe durch Hoffnungen vorangetragen. Hoffnung als Treiber für das Gute. Hoffnung ist für ihn stets utopisch und utopisches Denken ist nötig, um gesellschaftlichen Fortschritt zu erkämpfen. Sozialismus fasst er dabei als «konkrete Utopie» –also als realisierbares Zukunftsbild. 
Dies steht im Gegensatz zu Schopenhauer oder Nietzsche, die meinen, dass die Hoffnungsvollen sich nur selber täuschten. Eine Misanthropie, die die extreme Rechte mit ihrer kalten und egoistischen Rationalität und menschenverachtenden Ideologie gern bedient, um  alles ins Lächerliche zu ziehen, was Menschen solidarisch miteinander verbindet.

Gemäss dem norwegischen Philosophen Lars Svendsen gäbe es «ohne Hoffnung nur politische Apathie». Und die Feministin Franziska Schutzbach beschreibt in ihrem neuesten Buch «Revolution der Verbundenheit», dass radikale Kritik am Bestehenden allein noch keine Wärme erzeugt und es zwingend Räume und Zeit braucht für Wärme, Emotionen und Enthusiasmus. Die Einsicht, dass die Welt falsch und kaputt ist, reicht nicht aus, um unsere Kraft und Motive zur Veränderung der Welt entstehen zu lassen.

In diesen dystopischen Zeiten braucht es Lust auf Sozialismus und auf Zukunft!

Sozialismus bedeutet, sich um die Zukunft zu sorgen! Und damit wir gemeinsam die Kraft dazu haben, brauchen wir Solidarität, gemeinsame Erfahrungen, erfolgreiche Kämpfe und auch ein wenig Hoffnung und Zuversicht, dass der Kapitalismus überwunden werden kann und eine solidarische und soziale gerechte Gesellschaft möglich ist. 
Doch eine Hoffnung, die nur beschworen wird und nicht im Konkreten erlebt und erkämpft wird, bleibt ferne Utopie, wirkt weltfremd und bleibt schliesslich ohne Bedeutung. Ernst Bloch schrieb im Vorwort zu seinem Hauptwerk «Das Prinzip Hoffnung» folgende Zeilen: «Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern.»

Wir wollen keine einlullende «Matrix» (einer meiner liebsten Sci-Fi-Filme aus dem Jahre 1999), sondern kämpfen gegen diese Scheinrealität an, die uns das kapitalistische System vorgaukeln möchte. Neos Abschlussmonolog in «Matrix» sagt vieles: “A world without rules and controls, without borders or boundaries. A world where anything is possible.“

Für mich bedeutet dies, dass wir als BastA! unser Motto «radikal menschlich» im politischen Alltag als Leitziel konsequent voranstellen und uns noch stärker bemühen, mit den Menschen in den Quartieren, in den Bewegungen, in den Betrieben und Gewerkschaften in Kontakt zu kommen, und gemeinsam die Anliegen und Wünsche zum Ausdruck bringen und konkrete Verbesserungen im Alltag erkämpfen. Sei es im Parlament oder auf der Strasse. Wir stemmen uns als radikale Linke gegen die Hoffnungslosigkeit und gegen die Alternativlosigkeit des jetzigen Systems und kämpfen für internationale Solidarität.

Eine andere Welt, fernab von Krieg, Zerstörung der Natur, Ausbeutung und Unterdrückung, ist möglich und dafür müssen wir uns gemeinsam mit den Menschen verbinden.  

Wir streben auch in den nächsten dreissig Jahren nach sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und der Überwindung des zerstörerischen Kapitalismus – damit eine andere Welt und ein gutes Leben für alle, ein demokratischer lebendiger Sozialismus möglich wird. 

Oliver Bolliger, Präsident BastA!