Basel hat ein Gewaltproblem

Nein, in diesem Artikel geht es nicht um linke Aktivist*innen, welche unter Wahrnehmung ihrer Grundrechte etwa gegen Nazis oder die Klimakrise demonstrieren. Hier geht es um die Gewalt, die staatlich finanziert und legitimiert wird. Welche linke Kritik im Keim zu ersticken versucht – auf der Strasse mit Gummischrot oder, wenn das nicht hilft, mit Hausdurchsuchungen und überbordenden Strafprozessen.

In Basel zeigt sich ein problematisches Zusammenspiel von Polizei, Staatsan­waltschaft und Nachrichtendienst. Ein einge­spieltes Team, fast wie eine grosse Familie. Während die Polizei analog zu einem aggressiven Kind auf die einschlägt, welche Kritik üben, wird sie von der Staats­anwaltschaft in der Rolle der behütenden Eltern geschützt. Die Fehler des eigenen Kindes werden grosszügig übersehen, die eigentlichen Opfer zu Täter stilisiert und verfolgt. Dabei sind sie sich nicht zu schade, Beweise so anzupassen, dass sie in ihre Gesamterzählung passen. Der Nachrichten­dienst findet sich schliesslich in der Rolle eines Geschwisters wieder, es ist zwar beim Vorfall dabei und beobachtet alles aufmerk­sam, jedoch wird es nur die von den Eltern beschuldigten Personen belasten. Gleich­zeitig bleiben seine Erzählungen und Beweise unüberprüfbar.

Die zunehmende Repression verzehrt Energie und Ressourcen von Bewegungen, die sich eigentlich für eine bessere Zukunft einsetzen möchten, anstatt gegen die staatliche Gewalt anzukämpfen. Doch die Versammlungs­freiheit, die Meinungsäusserungsfreiheit und das Recht, das bestehende System zu kritisieren und für Alternativen zu kämpfen, ist zentral. Wir dürfen das nicht nur als mühselige Aufgabe neben dem eigentlichen Engagement ansehen.

Die Basler Polizei oder das Kind mit Aggressionsproblemen

Der Artikel von Franziska Stier ‘Kafkaeske Willkür auf Basels Strassen’ und ein Blick auf die letzten Jahre zeigt: Die Basler Polizei blockiert Demonstrationen, setzt nicht selten Gummischrot ein – ein Mittel, das in vielen anderen Ländern verboten ist (in Deutschland ist der Einsatz weitgehend verboten, in Rumänien, Irland, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Österreich komplett) – ,unterzieht unzählige Menschen Personenkontrollen und erweitert die Daten­bank mit neuen DNA-Profilen. Von Menschen, die auf den Polizeiposten mitge­nommen wurden, kommen einem unschöne Erzählungen von Erniedrigungen, Beleidi­gungen und Gewalt zu Ohren. Dieses Vor­gehen ist aber weder verhältnismässig, noch gehört es zur Pflicht der Polizei. Denn eine Kundgebung, auch ohne Bewilligung, ist nicht verboten und ein Blick auf das letzte Jahr zeigt, die Repression trifft alle. Ob March against Syngenta, 1. Mai, femi­nistischer Streik oder Basel Nazifrei: Die zunehmende Repression in Basel erweckt inzwischen national mediale Aufmerk­samkeit. Um die Arbeit der Polizei zu überprüfen, sind kritische Medienberichte relevant. Die Medienschaffenden werden aber immer mehr von den Tatorten polizei­licher Gewalt verdrängt und eine unab­hängige, mediale Kontrolle wird damit verunmöglicht.

Es ist Zeit, dass wir in Basel grundsätzlich über das Vorgehen, die Funktion und die Notwendigkeit der Polizei diskutieren. Welche Funktion hat das Gewaltmonopol des Staates und wie wird es kontrolliert?
Basel braucht dringend eine unabhängige Beschwerdestelle. Ein entsprechender Vor­stoss von Tonja Zürcher (BastA!) ist derweilen hängig. Die Regierung hat in einer ersten Stellungnahme bereits ihre Ablehnung gegenüber einer solchen Beschwerdestelle formuliert. Sie verweist auf die Ombuds­stelle, welche mit ihren eingeschränkten Kompetenzen jedoch keine überprüfende Funktion einnehmen kann. «Bei mut­masslichen polizeilichen Übergriffen steht die strafrechtliche Verfolgung im Vorder­grund: Die Strafbehörden sind verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wenn ihnen Straftaten oder auf Straftaten hinweisende Verdachtsgründe bekannt werden.» so der Regierungsrat.

Das Beispiel der Demonstration nach der Räumung der Matthäuskirche im Jahr 2016 zeigt aber: Sich in Basel bei der Staats­anwaltschaft über die Polizei zu beschweren, kann für Demonstrant*innen gefährlich werden. Die Ankläger*innen erhielten anstatt einer polizeilichen Untersuchung der Geschehnisse einen Strafbefehl und wurden von Opfern zu Tätern gemacht. In diesem Fall sprach das Gericht zwar alle betroffenen Personen frei, die Einschüchterung jedoch bleibt und eine Untersuchung gegen die Polizei wurde eingestellt. Und damit kommen wir zum nächsten Problem.

Die Staatsanwaltschaft, die behütenden Eltern

Die Staatsanwaltschaft sollte unabhängig sein und auch die Arbeit der Polizei kritisch beleuchten und nötigenfalls eingreifen. Nicht so in Basel. Die Staatsanwaltschaft deckt das repressive Vorgehen der Polizei mit Straf­befehlen, welche in ihrem Ausmass und der Argumentation absurder nicht sein könnten. Immer mehr linke Aktivist*innen sind mit massiven Anklagen und Strafandrohungen konfrontiert.
Die Staatsanwaltschaft schreibt in den Verfahren nicht nur ein Argumentarium für die Polizei, das ihr Verhalten rechtfertigt. Sie ist sich auch nicht zu schade, selber die Beweise so zu manipulieren, dass diese im Gerichtsverfahren keine unangenehmen Fragen aufwerfen. Ein öffentlich gewordenes Beispiel dafür ist der Gummischroteinsatz bei Basel Nazifrei (2018). Dort behauptet sie im Namen der Polizei, dass Gummischrot hätte eingesetzt werden müssen, um sich gegen die Gefahr zu wehren, überrannt zu werden. Anschliessend hat sie die Tonspur aus den (als Beweismaterial verwendeten) Videos gelöscht, in denen filmende Poli­zist*innen über den eigentlichen Zweck des Mitteleinsatzes sprechen: ein Ablenkungs­­manöver.

Die politische Motivation der Staatsan­waltschaft wird im Fall von Basel Nazifrei offensichtlich. Der Verstoss gegen die Rassismusstrafnorm ist ein Offizialdelikt. Entsprechend hätte sie als Strafverfolgungs­behörde die antisemitischen Redebeiträge der radikalen Rechtenvon Amtes wegen verfolgen müssen. Obwohl angesichts des Polizei­aufgebotes den Strafermittlungs­behörden der Verdacht auf Rassendis­kriminierung an der PNOS-Demo bekannt sein dürfte, wurden erst aufgrund von Anzeigen Dritter Verfahren eingeleitet. Die Basler Staatsanwaltschaft gewichtet die Verfolgung einer mutmasslichen Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration als dringlicher, als die Verfolgung bei mut­masslichem Verstoss gegen die Rassis­musstrafnorm.

Es gäbe in Basel durchaus wichtige Aufgabenbereiche für die Staatsanwaltschaft. Für eine konsequente Verfolgung von zum Beispiel Menschenhandel scheint sie jedoch keine Kapazitäten zu haben. So äussert sie gegenüber Telebasel am 8. Juli 2020, dass die Verfahren aufwendig und komplex seien. Die Recherche von Telebasel zeigt, die Staats­anwaltschaft legt die Verfahren zu rasch auf Eis, deshalb mussten in den vergangenen Jahren mehrere Verfahren mangels Beweisen eingestellt werden. Die Diskrepanz ist stossend, scheut sie doch zur Strafverfolgung linker Aktivist*innen keinen Aufwand.
Die Schwerpunktsetzung der Staatsan­waltschaft muss von der Politik grundsätzlich hinterfragt werden. Zudem drängen sich in den entsprechenden Abteilungen personelle Wechsel auf. Für eine unabhängige Straf­verfolgung, gerade wenn es um die Kontrolle der Polizei geht, muss die Staatsanwaltschaft räumlich und strukturell von der Kriminal­polizei getrennt werden. Die aktuelle Situation zeigt klar auf, dass die Staats­anwaltschaft eher einer politischen Strafver­folgungsbehörde entspricht, als einer anwalt­schaftlichen Vertretung im Interessen des Staates, bzw. der Bevölkerung.

Der Nachrichtendienst als heimlicher Beobachter

Die Basler Strafverfolgung und ihr ange­schlossene Behörden haben einen proble­matischen Umgang mit dem von der Verfassung geschützten Recht auf freie Mei­nungs­äusserung und Versammlungs­freiheit.
Zur Strafverfolgung werden Datenbanken angezapft, und der Nachrichtendienst (bei Basel Nazifrei sogar mit Hilfe von Interpol) steht den Behörden unterstützend zur Seite. Bei den Prozessen zu Basel Nazifrei sind immer wieder Beweismittel des Nachrichten­dienstes aufgetaucht. Dabei darf  der Nachrichtendienst eigentlich keine aktive Rolle innerhalb der Strafverfolgung ein­nehmen, denn er ist nicht befugt Auskunft über die Herkunft seiner Informationen zu geben. Damit können die Beweismittel vor Gericht nicht infrage gestellt werden.

Wer denkt, der Fichenskandal wäre Ver­gangenheit, irrt. In Basel werden nicht nur politische Parteien und Gewerkschaften nachrichten­dienstlich überwacht. Auch Menschen, die von ihren Grundrechten Gebrauch machen und bei der Polizei eine Demonstration anmelden, werden in die Datenbank des Nachrichtendienstes aufge­nommen. Darüber, ab wann ein Delikt in den Zuständigkeitsbereich des Nachrichten­dienstes fällt, bestehen keine klaren Kriterien. Das wird auch von Markus Schefer, Staatsrechtsprofessor der Universität Basel und Mitglied des Kontrollorgans über den kantonalen Nachrichtendienst Basel-Stadt als Schwachpunkt benannt. Wie es scheint, unterstützt der Nachrichtendienst die Arbeit der Staatsanwaltschaft und priorisiert entsprechend die Verfolgung linker Akti­vist*innen.
Basel-Stadt braucht jedoch keinen Nach­richten­dienst, welcher die Bewoh­ner*innen bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte überwacht. Die wiederholten Skandale und die mangelnde Überwachungsmöglichkeit des Nachrichtendienstes legen nahe, dass dieser ersatzlos abgeschafft werden muss.

Solidarität als Stärke gegen Repression

Die letzten Monate zeigen klar: Die Bewegungen lassen sich nicht spalten und sie lassen sich nicht einschüchtern. Sie sind solidarisch untereinander und das wird zur Stärke im Kampf gegen die Repression. Auch die Medien nehmen zunehmend ihre Rolle als kritische Stimme wahr, und das Parlament fängt an sich zu fragen, was da eigentlich auf den Strassen von Basel los ist.
Übrig bleibt trotz allem ein Gefühl der Machtlosigkeit, eine Müdigkeit gegenüber den unglaublichen Ressourcen, welche vom Staat aufgewendet werden, um Engagement für eine bessere Zukunft zu zerschlagen. Aber eines darf dabei nicht vergessen werden. Die beschriebene Repression ist eine Reaktion. Darauf, dass linke Bewegungen in Basel erfolgreich sind dass wir stärker werden und das bestehende System tatsächlich in Frage stellen. Gemeinsam werden wir alle auch in Zukunft gegen Nazis und für Klima­gerechtigkeit auf die Strasse gehen. Gemeinsam stehen wir ein für ein gutes Leben für Alle!

Nicola Goepfert, Koordination BastA!