Wissenschaftsfreiheit unter Druck

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Der Angriff der Hamas auf israelische Zivilist*innen und die Kriegsoffensive der israelischen Armee auf die palästinensische Bevölkerung führt in eine menschliche Katastrophe. Zehntausende Menschen wurden getötet, Hunderttausende hungern und haben keinen Zugang zu genügend Trinkwasser, Menschen auf beiden Seiten der Grenze trauern um getötete und entführte Angehörige. Die Eskalation der Gewalt beschleunigt die gegenseitige Entmenschlichung, die auch vor der Schweiz nicht Halt macht. Die Angst vor politischen und medialen Angriffen ist so gross, dass sich viele Menschen nicht mehr öffentlich zum Nahost-Krieg äussern. Personen, die sich mit den Hintergründen und möglichen Lösungsansätzen für Palästina und Israel beschäftigen, stehen massiv unter Druck. Das gilt für die Politik genauso wie für die Wissenschaft – und ganz besonders da, wo sich Politik und Wissenschaft treffen.
Friedensforschung abgestraft
Mitte Dezember hatte der Baselbieter Landrat entschieden, die Friedensforschung der Schweizerischen Friedensstiftung Swiss-peace nicht zu unterstützen. Begründet wurde dies mit Aussagen von Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel zum Nahost-Krieg. Goetschel hatte sich im «SRF Club» kritisch zu einem Hamas-Verbot in der Schweiz geäussert und ein «Ein-Staaten-Modell» als mögliche Lösung im Nahostkonflikt in die Debatte eingebracht.
Auch die Universität Basel und insbesondere die Urban Studies stehen unter grossem medialem und politischem Druck. Die akademische Integrität von Forschenden wird infrage gestellt, wenn ihre Forschung politisch unpopuläre Themen behandelt. Die Gefahr ist gross, dass auf unkritischere Themen ausgewichen wird und damit eine (Selbst-)Zensur einhergeht. Zudem besteht die grosse Sorge, dass in kritischen Wissenschaften gespart werden soll oder sie auf weniger kritische Themenfelder ausgerichtet werden sollen. Studierende der betroffenen Fächer haben Zukunftsangst da unklar ist, ob nach Ende der Finanzierungsperiode das Fach noch bestehen wird.
Wie steht die Basler Regierung zur Wissenschaftsfreiheit?
Ich habe den Regierungsrat deshalb mit einer Interpellation gefragt, welche Bedeutung für ihn die Wissenschaftsfreiheit hat, wie er die politische Einflussnahme auf Forschung und Lehre beurteilt und was er zum Schutz der Forschenden und Studierenden unternimmt, wenn diese aufgrund ihrer Forschung medialem und politischem Druck ausgesetzt werden.
Der Regierungsrat hat sich in der Antwort hinter die Wissenschaftsfreiheit gestellt und sie als unverzichtbar für eine lebendige Demokratie und eine offene Gesellschaft bezeichnet. Er sieht in den von ihm als «öffentliche Debatte» bezeichneten politischen und medialen Angriffen auf universitäre Fachbereiche jedoch keine «ungerechtfertigten Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit». Das mag juristisch vielleicht so sein, in der Praxis sieht es aber anders aus. Wenn aufgrund des politisch-medialen Drucks Gelder für Forschungseinrichtungen wie Swisspeace gestrichen, universitäre Institute umstrukturiert oder ganz geschlossen werden, ist die Wissenschaftsfreiheit direkt betroffen.
Kritische Wissenschaft unter Druck
Fachrichtungen, die sich kritisch mit aktuellen Machverhältnissen auseinandersetzen, sind besonders gefährdet. Umso wichtiger ist es, dass sie von der Universitätsleitung und vom Regierungsrat Rückendeckung bekommen. Dabei hat die Universitätsleitung bei der aktuellen Kampagne gegen die Urban Studies – wie auch schon bei früheren gegen die Gender Studies – versagt. Anstatt sich mit den Theorien und Methoden des kritisierten Instituts auseinander zu setzten und sich für dessen Autonomie einzusetzen, hat sich Rektorin Andrea Schenker-Wicki in einem Interview dem Angriff eines Kampagnenjournalisten angeschlossen und Postkolonialismus als Ideologie bezeichnet, die keinerlei Grautöne zulasse. Trotz eines offenen Briefs von Studierenden der Philosophisch-Historischen Fakultät, hat sie sich bis heute weder für ihre Aussage entschuldigt, noch erklärt, weshalb sie eine wissenschaftliche Disziplin als Ideologie brandmarkt. Umso wichtiger wäre deshalb ein klares Bekenntnis des Regierungsrats zur Wissenschaftsfreiheit. Und zwar nicht nur im abstrakten, theoretischen Sinn, sondern auch in der konkreten Situation. Es ist zu hoffen, dass der neue Erziehungsdirektor Mustafa Atici mehr Mut zeigt als Conradin Cramer.
Kritische Wissenschaft unter Spardruck
Die Universität ist von den Kantonen finanziert, also trotz der verfassungsmässigen Wissenschaftsfreiheit abhängig von der Politik. Die Gefahr ist real, dass aufgrund politisch-medialer Kampagnen Gelder gekürzt werden. So wird im Kanton Baselland bereits wieder über eine Kündigung des Uni-Vertrags diskutiert. Zwar wird das mit den – nach Steuersenkungen – roten Zahlen begründet. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass man sich dadurch auch erhofft, kritische Institute wie die Urban Studies oder die Gender Studies zurückzubinden.
Es ist unsere Aufgabe, uns für die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre einzusetzen und auch dafür, dass sich Studierende und Uni-Mitarbeitende politisch äussern können, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen.
Tonja Zürcher, Grossrätin BastA!