Wirtschaftskrise: Regression oder emanzipatorische Transformation?

Die aktuelle Wirtschaftskrise war angesagt. Schon im Herbst 2019 zeichnete sich eine wirtschaftliche Abschwächung ab. Verbunden ist die heutige Krise mit derjenigen von 2007/09 und der Eurokrise von 2011/12. Deren Auswirkungen motten bis heute mehr oder weniger unterschwellig weiter. Erst als sich in Italien mit der Corona­Pandemie Erkrankungen und Todesfälle häuften, erfolgte eine massive Erschütterung der Aktienmärkte. Als Brandbeschleuniger wirkten in der zweiten Hälfte Januar die Abriegelung der Provinz Hubei und diverse Produktionseinschränkungen in ganz China. Bereits im Februar, sicher aber ab März lässt sich von einer globalen und dramatischen Wirtschaftskrise sprechen. Diese offenbarte sich zum einen im spektakulären Fall der global wichtigsten Börsenindices um bis zu 40% und in einem massiven Einbruch der Erdölpreise. Zum anderen brach das BIP in China Ende des ersten Quartals um rund 7% ein, was sich noch im Februar kaum jemand vorstellen konnte, auch wenn die Wachstumsprognosen Schritt für Schritt nach unten angepasst wurden.

Foto: CC0 by GerdAltmann, pixabay

Weltwirtschaftskrise wie 1929?

Zögerliche, chaotische und zu wenig selektive Regierungsmassnahmen führten zu einer ungebremsten Ausbreitung der Viren. Schrittweise wurden Quarantänen auferlegt, die Mobilität eingeschränkt, wirtschaftliche Aktivitäten untersagt und in vielen Staaten ein mit mehr oder weniger mit Zwang verbundener Shutdown verordnet. Über Nacht fielen die Einkommen vieler Menschen weg, Kurzarbeit wurde erlassen und Kündigungen ausgesprochen. Auf Grund der verschiedenen Lock­ und Shutdows, den vielfach unterbrochenen globalen Lieferketten, der faktisch vollständigen Paralyse des Flugverkehrs sowie dem

Zusammenbruch des Tourismus und der teilweise massiven Einschränkungen im Dienstleistungssektor musste mit Wachstumseinbussen gerechnet werden. Die Zahlen, die am 30. April für Europa publiziert wurden, waren bereits spektakulär schlecht. Die EU liegt im ersten Quartal bei einem Wachstum von ­3,5%, die Eurozone bei ­3.8%, Frankreich bei hohen ­5,8%, Spanien bei ­5,2% und Italien bei ­4.7%. Der IWF prognostiziert für das laufende Jahr eine globale Rezession von ­3%. Der wirtschaftliche Einbruch erfolgte auf breiter Front, hat sich generalisiert und wird massiv schärfer ausfallen als 2007. Wenn die Stimulierungsmassnahmen zu bescheiden angesetzt und Deflationsrisiken insbesondere mit sinkenden Löhnen unterschätzt werden, dann steht bald einmal der Vergleich mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 an.

Wer bezahlt die Kosten?

Zurzeit werden Stützungsprogramme in Billionenhöhe geschnürt, fraglich ist allerdings, wem sie schliesslich effektiv zugute kommen und auf wen die Kosten abgewälzt werden. Vieles deutet darauf hin, dass gerade die Massnahmen der US­ Zentralbank, des FED vorab auf eine Stützung der Aktienmärkte und damit der Vermögenden hinauslaufen.

Klar ist allerdings, dass in Europa und vor allem in den USA die Arbeitslosigkeit massiv ansteigen wird. Diese ist wegen des amerikanischen «hire and fire» gleichsam explodiert und könnte auf beinahe 20% angestiegen sein. Aber auch in Europa dürfte es deutlich höhere Zahlen geben, nicht überall in gleichem Ausmass, doch Spanien rechnet beispielsweise bereits wieder mit einem Anstieg auf knapp 20%.

Arbeitslosigkeit ist das eine, doch wenn eine gute Versicherungsabdeckung oder Kurzarbeitsregelung vorhanden ist, mag dies, wenn man sich einschränkt, noch einigermassen gehen. Im stetig gewachsenen prekären Sektor und auch bei kleinen Selbstständigen wie Coiffeursalons, Bars, Läden, Büchereien und Fitnessanlagen sind teilweise über Nacht die Einkommen weggefallen. Die Kosten für Miete, Energie, Lebensmittel lasten dann schwer.

Optimisten rechnen nach den Shutdowns mit einem baldigen und raschen Wiederaufschwung. Dieser ist aus verschiedenen Gründen unwahrscheinlich. Die globalen industriellen Lieferketten sind unterbrochen und werden nicht so rasch wiederhergestellt werden können. Die Schwellenländer werden von der Krise ganz besonders hart getroffen werden, weil Kapital abgezogen wird und die Rohstoffpreise dramatisch sinken werden. So kann die gegenwärtige Krise in den afrikanischen und asiatischen Schwellenländern schwere Nahrungs­ und Hungerkrisen auslösen. Verschärft wird damit die weltweit ungleiche Entwicklung und die damit verbundene Armut und Verelendung.

Der Kapitalismus ist angeschlagen

Wir müssen heute davon ausgehen, dass der Kapitalismus schwer angeschlagen ist. Es sind verschiedene Mechanismen, die eine Erholung und einen Wiederaufschwung bremsen. Die Unternehmen sind verschuldet und werden bei einer Lockerung des Shutdowns nicht mehr investieren, sondern Personal abbauen und Leute entlassen. Auch die privaten Haushalte sind nicht reicher geworden, sondern zum Teil verarmt, was den privaten Konsum tendenziell einschränken wird. Bei einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation werden die Staaten, deren Verschuldung angestiegen ist, gemäss den neoliberalen Dogmen mit einer Austeritäts­ und Sparpolitik ihre Finanzen in Ordnung bringen wollen, wenn dies durch uns nicht verhindert werden kann. Der Welthandel wird durch die Desorganisation der internationalen Wertschöpfungsketten gebremst werden. So sind kein kräftiger Wiederaufschwung zu erwarten, sondern viel eher rezessive und deflationäre Tendenzen.

Die Linke ist gefordert!

Die politische Linke steht heute vor gewaltigen Aufgaben. Vorab ist es notwendig, dass die Einkommen gesichert werden. Die Gefahr besteht allerdings darin, dass eine Vielzahl von Mitteln eingesetzt wird, sodass die Lohnabhängigen auseinanderdividiert und gegeneinander ausgespielt werden. Folglich ist es dringend notwendig, vereinheitlichende Forderungen zu stellen und durchzusetzen.

Daher ist eine Basisrente oder ein Lohn für Quarantänefolgen zu fordern, der zum Leben genügt und schnell und unbürokratisch ausbezahlt wird. Nur damit können die Kaufkraft erhalten bleiben und Deflationstendenzen ausgehebelt werden. Ganz offensichtlich sind die finanziellen Möglichkeiten in den verschiedenen Staaten und Regionen höchst unterschiedlich. Deshalb werden globale Antworten auf die Krise benötigt. In Europa muss verhindert werden, dass sich die übliche Nord­Süd­Spaltung verschärft, die Schulden sind zu vergemeinschaften: An die Stelle von Coronabonds wird wohl eine Ausweitung des EU­Haushalts um 1500 Milliarden kommen. Wichtig wird sein, dass dieses Geld vor allem in den Ländern des Südens der EU investiert wird und in erster Linie für grüne Investitionen. Die Arbeitslosenversicherung und die Kurzarbeitsregelungen müssen europaweit und gemäss «best practices» einheitlich gelten. Die Minimallöhne müssen erhöht und das Existenzminimum überall gewährt werden.

Damit sind wir jedoch lediglich bei einem mehr oder weniger linken Keynesianismus angekommen. Dieser kann heute nicht mehr genügen. Anstehend ist ein System Change. Sozialismus muss wieder zu einem Thema und einer Perspektive werden. Doch dies ist leicht gesagt, aber nicht mit einem Fingerschnippen zu erreichen. Anzuknüpfen gilt es an die aktuellen Auseinandersetzungen im Gesundheitssektor und dessen Ausbau als Service Public mit deutlich höheren Löhnen. Aber auch sonst geht es um den Ausbau des Service Public inkl. Finanzdienstleistungen, um eine umfassende Wirtschaftsdemokratie, um den schnellen ökologischen Umbau, um Verstaatlichungen von zentralen Bereichen wie etwa der Pharmaindustrie. Wichtig bei uns wäre auch wie früher ein staatliches Impfinstitut für die Produktion, die Lagerung und Verteilung von Impfstoffen.

Ein Vorgeschmack auf die ökologische Krise

Anstehend ist ein breites politisches Programm, und wenn es gelingt, in den Diskussionen und Kämpfen damit voranzukommen, dann könnte sich Grundsätzliches ändern. Die Coronakrise hat jedenfalls ganz deutlich gezeigt: einerseits ist vieles möglich, andererseits erhalten wir mit dieser extremen Verdichtung eines Krisenablaufes einen Vorgeschmack auf die ökologische Krise, wenn wir diese nicht entschärfen können.

Hans Schäppi & Roland Herzog