Stimmen ausserhalb von #stayhome und #savelifes

Die Erklärung der «ausserordentlichen Lage» war für uns alle ein Schock. Für die Sans Papiers ist die Lage auch nach den ersten Lockerungen weiterhin existenzbedrohend. Von einem Tag auf den anderen haben alle ihre Arbeit verloren. Sie können aber kein Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe beziehen und haben kaum Erspartes. Damit sie etwas zum Essen haben und ihre Wohnung nicht verlieren, leisten wir finanzielle Soforthilfe. Ob das Geld auch über den Sommer hinweg reichen wird, wissen wir nicht.
Zu Beginn war in Basel für die SansPapiers nicht einmal der Zugang zu den Covid19 Testzentren gewährleistet. Immerhin hat sich diesbezüglich die Situation entschärft und alle können sich nun auch ohne Krankenkasse testen lassen. Viele SansPapiers leben in beengten und prekären Wohnverhältnissen und können sich nicht in einem gemütlichen Zuhause zurückziehen. Aufgrund der erhöhten Polizeipräsenz ist ans Spazieren gehen gar nicht zu denken. Mit regelmässigen Anrufen versuchen wir, die psychischen
Folgen der Isolation zu lindern. Ob wir aber für die Zukunft Perspektiven aufbauen können, wissen wir nicht.
In dieser Krisensituation haben wir als Anlaufstelle die Pflicht, offen zu bleiben und unser Bestes zu tun, auch für all die, welche zum ersten Mal mit uns in Kontakt treten. Seit einem Monat haben wir neben dem offenen Beratungsfenster am Dienstagnachmittag jeweils den ganzen Montag offen und führen Erstberatungen durch. Für die politische Arbeit bleiben uns kaum Ressourcen. Trotz Corona sind immer noch drei Härtefallgesuche beim Migrationsamt pendent, auf dessen Antwort wir bereits seit langen eineinhalb Jahren warten. Von einem Basler Regularisierungsprogramm, welches allen Menschen den Zugang zur sozialen Sicherheit ermöglichen würde, wagen wir gar nicht zu träumen. Die Coronakrise zeigt uns in aller Härte, wie die Privilegien in unserer Gesellschaft verteilt sind, und dass für die Schwachen unter uns die Mühlen immer langsamer mahlen als für die Mächtigen.
Sicherlich kann man mehr politischen Druck ausüben und seine Interessen eher durchsetzen, wenn das Leitmotiv #stayhome einen Menschen nicht in seiner Existenz gefährdet. Auch haben die SansPapiers keine Lobby und keinen Verband, der sich für sie bei der Regierung einsetzt. Trotzdem haben auch sie am 1. Mai in Basel ihre Stimme virtuell erhoben in einem starken und berührenden Video, welches auf unserer
Homepage www.sanspapiersbasel.ch nachzuschauen ist. Habt Ihr es gesehen? Kann gut sein, dass nicht. Denn die virtuelle Welt ist noch grösser als die reale, und die Stimmen der Menschen, deren Existenz vielen nicht einmal bekannt ist, rufen kaum ein Echo hervor.
Für eine solidarische Gesellschaft, welche in einer Krisenzeit keinen Menschen ausgrenzt und die Existenz aller sichert, werden wir deshalb hoffentlich bald wieder alle gemeinsam mit den SansPapiers unsere Stimmen auf den Strassen laut erheben können. Denn einen anderen Weg gibt es nicht, um gemeinsam einen Wandel von unten herbeizuführen. Jedenfalls kenne ich ihn nicht.
Mit etwas traurigen und doch solidarischen Grüssen.
Olivia Jost, Co-Leiterin der Anlaufstelle für Sans Papiers Basel