Rentenreform2020 – Ein Schritt nach vorne, zwei zurück

Die AV2020 wird von der Mehrheit der Gewerkschaften, Sozialdemokratie und auch der Grünen Partei Schweiz protegiert. Teilweise im Eilverfahren wurden Unterstützungs-Beschlüsse erwirkt und trotzdem stellen sich immer wieder einzelne Strukturen nach ausgiebiger Diskussion dagegen (Syndicom Jugend, Syndicom RentnerInnen, Unia Frauenkommission, Juso…)

Auch BastA! stellte sich von Anfang an gegen die Reform und unterstützt das Referendum aktiv. Die Argumentation der BefürworterInnen halten einer Prüfung nämlich nicht stand.

Bei genauerer Betrachtung handelt es sich nicht um eine insgesamt gute Reform, die eine einzelne bittere Pille mit sich trägt (Erhöhung des Frauenrentenalters), sondern es ist ein sozialpolitisches Abbaupaket, verpackt in „linkem Marketing“. Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass dort eines der schlimmsten Abbaupakete unter Rot-Grün im vorläufigen Einvernehmen mit den Gewerkschaften durchgesetzt wurde – die Hartz-Reformen. Es zeigt sich, dass Aspekte des deutschen Abbaupakets und AV2020 nicht nur Überschneidungen im Politmarketing haben, sondern auch inhaltliche Übereinstimmungen aufweisen.

Wem nutzt die Reform?
Am deutlichsten wird dies bei der Senkung des Koordinationsabzugs bzw. der Eintrittsschwelle der beruflichen Vorsorge. Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung zahlen auch Menschen in Teilzeitpensen und mit Tiefstlöhnen in die Pensionskasse ein. Damit erhalten sie zwar Pensionskassenansprüche, die sie zuvor nicht hatten, doch erhöht sich ihre Gesamtrente im Alter nicht, weil ein Jahreslohn von 50.000.- keine existenzsichernde Rente garantiert. Sie müssen weiterhin mit Ergänzungsleistungen (EL) aufstocken, haben aber über den gesamten Verlauf ihrer Erwerbsbiographie deutlich weniger Nettolohn. Die Reform stärkt hier also nicht wie immer behauptet wird die Frauen und die kleinen Einkommen, sondern entlastet die EL und stärkt die Pensionskassen.

Pensionskassen – ein ungerechtes System
Die Pensionskassen sorgen nicht nur in Basel regelmässig für Unmut weil sie sich möglichst profitorientiert auf dem Immobilienmarkt verhalten und Mieterinnen und Mieter auf die Strasse stellen. Das Pensionskassenvermögen richtet auch grossen Schaden an, indem mit Nahrungsmitteln spekuliert und in Rüstung investiert wird. Kapitalvermehrung kennt keine Ethik.

Ungerecht ist zudem, dass die unbezahlte Arbeit von Frauen nicht anerkannt wird. Im Zuge der 10. AHV-Revision, mussten die Frauen schon zwei Pensionsjahre opfern. Doch immerhin wurde die Anrechnung von Betreuungsarbeit ermöglicht. Deshalb haben Frauen seit einigen Jahren die gleiche AHV-Rente wie Männer. Die Pensionskassen anerkennen die gesellschaftlich wertvolle Betreuungsarbeit der Frauen nicht.[i]

Mit der Senkung des Umwandlungssatzes geht eine 12% tiefere Pensionskassenrente einher, obwohl sich die Kassen neue EinzahlerInnen erschliessen und sie weiterhin rund 11% für sich selber abzwacken: Für Reserven, Rückstellungen und freie Mittel stehen den Pensionskassen insgesamt 85,9 Milliarden Franken zur Verfügung. Das heisst: Fast 11 Prozent der Bilanzsumme kommen nicht direkt den Versicherten zugute.[ii]

Kein demographisches Debakel
Die Prognosen des Bundesamts für Sozialversicherungen zur AHV sind pessimistisch und waren bis jetzt falsch. 1995 prognostizierte es für 2010 ein Defizit von 3.7 Mia Franken. Es gab jedoch einen Überschuss von 1,9 Mia. Und auch 2016 wurden 2.1 Mia Gewinn erwirtschaftet.[iii] Wer langfristig plant, rechnet mit vielen Unbekannten. So lassen sich weder der Beitrag durch die Migration, noch die Geburtenrate oder aber die Arbeitsmarktsituation solide voraussagen.

Umverteilungskraft der AHV wird geschwächt/Trauschein gewichtiger als Betreuungsarbeit
Unsere AHV verteilt super um. Nicht nur, weil sie keine Plafonierung nach oben kennt, sondern auch, weil Frauen seit der letzten Revision trotz Lohneinbussen von rund 24 Mia.[iv] Franken (Lohnungleichheit) gleich viel AHV beziehen, wie Männer. Die Stärkung der Ehepaarrente bedeutet nun aber einen Schritt zurück. Während alleinlebende NeurentnerInnen 70.- mehr erhalten, steigt die Vollrente gut verdienender Ehepaare um 225.-, also um den dreifachen Betrag. Wir haben hier eine Verschiebung von der Wertschätzung der Betreuungsarbeit, hin zur Wertschätzung eines Trauscheins. Denn es spielt keine Rolle, ob das Ehepaar Kinder hat, oder nicht.

Paritätische Finanzierung der AHV geschwächt
Die erste Säule wird von Unternehmen und Lohnabhängigen gleichermassen gezahlt. Auf diese Weise wird auch die Wirtschaft in die soziale Verantwortung genommen. Jede Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Finanzierung der AHV bricht mit diesem solidarischen Prinzip und verschiebt die Belastung zu Ungunsten der lohnabhängigen Bevölkerung. Dazu kommt, dass die Mehrwertsteuer eine unsoziale Steuer ist, weil sie kleine Einkommen viel stärker belastet, als grosse.

Rentenaltererhöhung? – Nein Danke!
Wer hofft mit dieser Reform das Rentenalter 67 zu verhindern und die Alternative des kleineren Übels zu wählen, übersieht, dass die AV2020 gerade den Weg dahin vorspurt. Ist das Frauenrentenalter erst widerstandslos erhöht, steht das nächste Reformpaket in der Pipeline. Wer das bestreitet, hat die Salamitaktik der letzten Jahre verschlafen.

Dabei ist es mit Blick auf die Digitalisierung der Erwerbsarbeit und auf die anstehende Umgestaltung und Verlagerung der Produktionsstandorte mehr als unsinnig, die Lebensarbeitszeit für die Hälfte der Bevölkerung zu erhöhen. Der drohenden Arbeitslosigkeit besonders ab 55+ wird nichts entgegen gesetzt – im Gegenteil. Unternehmen reissen sich schon heute nicht darum soziale Verantwortung zu übernehmen. Sie werden das auch nicht für 64 jährige Frauen tun. Damit stossen wir also lediglich mehr Leute in die Erwerbslosigkeit und erzeugen neue Beitragslücken, die einer Rentenkürzung gleich kommen.

Unser Fazit: Diese Reform nützt nicht denen, denen sie vorgibt zu nützen. Es ist eine Reform, die in die falsche Richtung umverteilt und kleine Einkommen härter trifft als grosse. Es ist eine Reform die zusätzliche Gelder in den Kapitalmarkt spült und die Frauen benachteiligt.

Wir Frauen sind es ja gewohnt dort einzuspringen, wo es Unterstützung braucht. Wir sind es gewohnt anzupacken, wenn andere Solidarität und Unterstützung brauchen. Nicht umsonst werden zwei Drittel der unbezahlten Arbeit von Frauen geleistet.[v] Diese Reform missachtet all das. Die Gleichstellung, die sie vorgibt zu schaffen, ist eine Verschärfung der Ungleichheit und es ist milde gesprochen moralisch verwerflich Alleinerziehenden oder Menschen, die im Tieflohnbereich arbeiten, diese Reform als Erfolg für sie zu verkaufen.

Tonja Zürcher, Heidi Mück, Franziska Stier

Download Unterschriftenbogen


[i] Mascha Madörin schätzt, dass Frauen pro Jahrunbezahlte Arbeit von rund 80 Mia. Franken mehr leisten, als Männer.

[ii] Saldo 4/2017 S. 8

[iii] Saldo 4/2017 S:10

[iv]http://wide-switzerland.ch/wp-content/uploads/2016/10/WIDE_FeministischeDialoge_Abeitsblaetter_Altersvorsorge_2013_11_121.pdf S.8

[v]http://wide-switzerland.ch/wp-content/uploads/2016/10/WIDE_FeministischeDialoge_Abeitsblaetter_Altersvorsorge_2013_11_121.pdf S. 7