Protest als treibende Kraft der Demokratie

Demonstrationen kommen in Basel immer stärker unter Druck von verschiedenen Seiten: Bewilligungen werden an hohe Bedingungen geknüpft, politische Vorstösse fordern Einschränkungen für Demonstrationen und die Repression vonseiten Polizei steigt. Solche Bestrebungen sind unverhältnismässig, antidemokratisch und untergraben den Rechtsstaat.

Bildquelle: Franziska Stier, 25.11.2022 Basel

Demokratie ist eine sich ständig wandelnde und entwickelnde Form der «Regierung»: Es beteiligen sich immer wieder neue Personen an Entscheidungsprozessen, die beteiligten Personen ändern ihre Meinung oder enthalten sich dem Prozess. Demokratie bedeutet also einen ständigen Wandel, ein ständiges neues Aushandeln der Bedingungen des Zusammenlebens der Beteiligten. Dieser ständige Wandel kann so auch nie an ein Ziel kommen, es kann nie genug Demokratie geben.

Der öffentliche Raum als politisches Experimentierfeld

Für die Demokratie zeigt sich gerade der öffentliche Raum als politisches Labor im Kleinen: Im öffentlichen Raum interagieren Bewohner*innen, aber auch Besucher*innen eines Gemeinwesens – unabhängig ihres rechtlichen Status – miteinander. Es ist der Raum, den alle miteinander teilen, in dem die eigenen Bedürfnisse geltend gemacht werden, aber gleichzeitig Rücksicht auf die anderen Menschen im geteilten Raum genommen wird. Damit die aufeinandertreffenden Ansprüche, der Menschen, die den öffentlichen Raum beleben, in Einklang gebracht werden können, werden diese gegenseitig ausgehandelt. Der öffentliche Raum ist somit ein politischer Ort des gegenseitigen Austauschs und so auch eine Keimzelle der Demokratie.

Damit entspricht das Austragen von politischen Kundgebungen einem Zweck, dem der öffentliche Raum gewidmet ist. Demonstrationen erweisen sich dabei auch als Ausdruck einer lebendigen Demokratie. Einerseits sind Demonstrationen offen: Es können alle Personen teilnehmen, unter anderem auch solche, die im institutionalisierten demokratischen Prozess keine Mitsprache wahrnehmen können. Es können Themen auf das Tapet gebracht werden, die in der institutionellen Politik nicht auf der Tagesordnung stehen und nicht mit vorhandenen politischen Instrumenten thematisiert werden können. Demonstrationen sind je nach Thema divers und aus verschiedenen politischen Spektren zusammengesetzt. Andererseits stossen Demonstrationen im öffentlichen Raum auch auf Resonanz: Es können Personen angesprochen werden, die sich (noch) nicht mit diesen Themen auseinandergesetzt haben. Dadurch können Menschen zu politischem Denken angeregt werden. Protest wird zum Motor für die Demokratie. Verschiedene Errungenschaften unserer Gesellschaft sind so auch dem Protest auf der Strasse zu verdanken, z. B. Arbeitsrechte, AHV, Frauenstimmrecht; oder regional alternative Jugendräume, die Verhinderung des Atomkraftwerks in Leibstadt u. ä.

Versammlungsfreiheit zum Schutz der Demokratie

Mit der Versammlungsfreiheit als verfassungsrechtlichem Grundrecht werden gerade diese Qualitäten einer demokratischen Gesellschaft geschützt. So bezeichnete bereits Alexis de Tocqueville in seiner Untersuchung über die amerikanische Demokratie Mitte des 19. Jahrhunderts die Versammlungsfreiheit als existenzielles Bedürfnis des Menschen, indem sie unverzichtbare Voraussetzung zum einen für die soziale Kommunikation, zum anderen für die politische Meinungs- und Willensbildung ist.

Mit einem rigiden Bewilligungssystem ist diese Versammlungsfreiheit nicht mehr gewährleistet. Es ist ja genau die staatliche Macht, vor deren Ausufern Grundrechte eigentlich schützen, die über die Ausübung des eigentlich geschützten Rechts entscheidet. Aber schon das Ersuchen um eine Bewilligung an sich widerspricht der freien Wahrnehmung des entsprechenden Rechts.

Einschränkungen für die Demokratie

Beschränkungen des Demonstrationsrechts – seien diese zeitlich oder örtlich – sind immer antidemokratisch. Politische Teilhabe einzuschränken, kann nie im Sinne einer demokratischen Gesellschaft sein. Gleiches gilt für das Aufwiegen von wirtschaftlichen Gründen gegen die politischen Interessen, die durch Demonstrationen verfolgt werden. Gleichwohl hat Basel ein sehr rigides Bewilligungsregime, das im Sinne gewisser politischer Kreise noch verstärkt werden dürfte.

Die polizeiliche Repression, mit der immer wieder auch auf friedliche Demonstrationen reagiert wird, ist nur ein weiterer Faktor, mit dem das Grundrecht auf Demonstrieren beschränkt wird. Dieses Eingreifen hat nicht nur Folgen für die unmittelbar Betroffenen, die sich dagegen wiederum mit grossem Aufwand wehren müssen, sondern insbesondere auch einen abschreckenden Effekt auf die Durchführung weiterer Demonstrationen, was wiederum eine Einschränkung für die Demokratie bedeutet. Dass dabei die Verantwortlichen für polizeiliches Handeln im Graubereich der Legalität selten zur Verantwortung gezogen werden, lässt insbesondere unter dem eigentlichen Schutzgehalt der Versammlungsfreiheit an der Rechtsstaatlichkeit zweifeln.