Mythen der Verschwörung

Pandemien beflügeln Mythen der Verschwörung. Allerlei Leute sagen, Covid 19 verbreite sich über die fünfte Generation des Mobilfunks (5G). Und eine Finanzoligarchie manipuliere das Geschehen.

Symbolbild, Quelle: Pixabay

Eine Verschwörung ist für mich eine geheime Absprache. Sie setzt eigene Interessen illegal durch. Eine Verschwörungstheorie wäre demnach eine fundierte Reflexion einer solchen Konspiration. „Verschwörungstheorien“ sind jedoch spekulativ. Ich nenne sie deshalb Mythen der Verschwörung.

Kinder unserer Zeit

5G baut Funkzellen engmaschig aus, erhöht den Energieverbrauch und strapaziert die Gesundheit. Das sagen Kritiker/innen. Die Strahlen rührten v.a. von den mobilen Funkgeräten, erwidern indes 5G-­Befürwortende. Mehr Stationen würden dank kürzeren Distanzen die Belastungen senken. Covid­-19 befeuert nun diese Debatte mit dem Vorwurf, 5G pusche die Pandemie. Und umgekehrt. Dahinter stünden die Stiftungen von Klaus Schwab und Bill Gates. Sie schürten mit der Pandemie viel Angst, damit sich Menschen gefügig machen und überwachen liessen.

Klaus Schwab präsidiert das World Economic Forum (WEF). Im Buch „The Great Reset“ (2020) plädiert er für eine sozialere Marktwirtschaft. Sonst drohten gewaltige Erschütterungen. Schwab warnt vor einem „Coup“, den er angeblich selbst inszeniere. Zusammen mit dem Impfstoff-Mäzen. Mehrere Millionen Menschen klickten das inzwischen gesperrte Video „Gates kapert Deutschland“ (Ken Jebsen, YouTube 2020) an. Gates sponsere, erfuhren sie, die Welt­-Gesundheits­-Organisation (WHO) mit bis zu 80% der Kosten. Laut ARD-­Faktencheck (2021) waren es keine 12,5%. Sachlich zu informieren ist bitter nötig.

Mächtige wie Bill Gates oder Klaus Schwab dienen als Projektionsflächen. Sie sind vor unhaltbaren Anschuldigungen zu schützen, aber auf fragwürdig vermehrte Vermögen und darauf anzusprechen, wie sie Einfluss nehmen. Der Weg über private Stiftungen ist nur partiell demokratisch. Das ist ein Zwiespalt. Egal, ob das „liebe Geld“ viel Gutes tut. Die Existenzsicherung darf nicht vom Goodwill weniger Begüterter abhängen. Sonst verschärfen sich einseitige Abhängigkeiten, die verunsichern und dazu verleiten, komplexe Sachverhalte zu simplifizieren, statt zu differenzieren. Niemand ist dagegen gefeit. Wir sind alle „Kinder unserer Zeit“.

Strukturelle Herrschaft

Verdeckte Macht weckt Phantasien. So etwa bezüglich der Bilderberg­-Konferenz, die uns regiere. Mehr Einfluss auf die globale Agenda haben jene 147 Unternehmen (inkl. UBS und Credit Suisse), die 40% der Aktien von rund 20‘000 multinationalen Konzernen besitzen (ETH 2011), aber auch kein einheitliches Machtzentrum bilden. Sie sind wie Rhizome bzw. multiple Schaltstellen verwoben. Das analysieren wir in unserer Studie „macht.ch – Geld und Macht in der Schweiz“ (Mäder 2015). Verschwörungsmythen kaprizieren sich jedoch auf den informellen Bilderberg-­Club, der nun mit Corona und 5G von sich ablenke.

Etliche Verschwörungsmythen richten sich auch pauschal und polarisierend gegen den Sozialstaat. Sie wollen das „verschaukelte Volk vor dem bürokratischen Moloch retten“ und übersehen, wie der angelsächsisch geprägte Wirtschaftsliberalismus soziale Gegensätze forciert. Nach dem Zweiten Weltkrieg akzeptierte ein politisch liberaler Konsens einen gewissen sozialen Ausgleich, der Verschwörungsmythen etwas Boden entzog. Dazu trug auch die Nähe zum grauenvollen Holocaust bei. Seit den 1980er­ Jahren strapaziert jedoch eine geldgetriebene Politik die Konkurrenz. Sie schürt Missgunst, soziale Spannungen und Verschwörungs mythen. Demokratische Strukturen vermindern indes gängige Hackordnungen und entziehen Verschwörungsmythen viel Nährboden.

Verschwörungsmythen bezichtigen immer wieder Minderheiten, soziale Ordnungen zu bedrohen. Das zeigte sich schon beim Aufkommen von Kinderlähmungen in den USA. Nationalistische Kreise straften jüdische Bevölkerungsgruppen dafür ab. Schriftsteller Philip Roth beschreibt in „Nemesis“ (München 2011), wie 1944 ein Impfstoff fehlte, Tausende an Polioerkrankten und feindliche Handlungen gegen italienische Migrierte zunahmen. Indem Verschwörungsmythen soziale Ereignisse personalisieren, lenken sie von struktureller Herrschaft ab.

Was hilft?

Gegenläufige Trends prägen unser Verhalten. Eine reflexive Moderne löst laut Soziologe Ulrich Beck (Risikogesellschaft, 1986) das industrielle Zeitalter ab. Die Pluralität der Lebensformen mag auch ein differenziertes Denken anregen. Die strapazierte Rivalität disponiert indes dazu, sich über andere zu erheben. Sie korrumpiert soziale Beziehungen und begünstigt damit Verschwörungsmythen, die stets gesellschaftliche Verhältnisse ausdrücken.

Verschwörungsmythen fordern uns heraus. Es empfiehlt sich, sie gelassen anzugehen, ohne eigene Vorannahmen in das Feld zu projizieren, das wir betrachten. Sonst sehen wir vornehmlich, was uns zu bestätigen scheint. Statt andere voreilig zu verorten, gilt es auch, sich eingehend mit ihnen zu befassen. Abwegiges verstehen zu wollen, bedeutet keineswegs, es zu rechtfertigen. Selbstverständlich müssen wir stets Quellen präzise befragen und uns von Mythen distanzieren, die das soziale Miteinander diskreditieren. Wichtig ist dabei die (Selbst­-)­Reflexion eigener Schattenseiten. Das hilft, Menschen und Realitäten stimmiger wahrzunehmen und weniger über das zu stolpern, was wir bei uns selbst übergehen. Wer beispielsweise Spielplätze während dem Lockdown öffnen will, ist deswegen keine Corona-­Leugnerin. Und wer aufklärend darlegt, wie der US-­Geheimdienst CIA an Militärputschs (wie in Chile 1973) mitwirkte, ist deswegen noch längst kein Amerika­ Hasser.

Ueli Mäder

Soziologe Ueli Mäder skizziert im vorliegenden Artikel ein paar Aspekte aus seinem Vortrag vom 20.5.2021 bei den ÄrztInnen für Umweltschutz (oekoskop 3/2021, 19­22), den er im Volkshochschul­ Kurs vom 10. und 17. November 2021, 18.15– 20.00 Uhr an der Universität Basel (Petersplatz 1) weiter vertieft. Kosten: Fr. 50. Anmeldung: VHS BB, info@vhsbb.ch, Tel. 061 269 86 66.