Missachtung der Grundrechte durch den Polizeieinsatz gegen die feministische 8. März-Demonstration

Am 8. März 2023 kam es zu einer massiven Verletzung der Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit im Kanton Basel. In ihrer Interpellation möchte unsere Grossrätin Tonja Zürcher mehr zu den Hintergründen des Polizeieinsatzes vom 8. März erfahren.

Beim Polizeieinsatz gegen die friedliche, feministische 8. März-Kundgebung kam es zu einer massiven Verletzung der Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit. Statt zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung beizutragen, verhinderte die Polizei präventiv eine friedliche Versammlung und wendete grundlos Gewalt und polizeiliche Repressionen an. Dabei führte bereits das präventive Androhen von repressiven Massnahmen gegenüber friedlichen Teilnehmenden zu einem sogenannten «chilling effect», wodurch Menschen von der Ausübung ihrer Grundrechte abgehalten wurden.

Die Teilnahme an einer friedlichen, nicht bewilligten Kundgebung ist grundrechtlich geschützt und nicht strafbar. Es kann und darf nicht sein, dass friedliche nicht bewilligte Kundgebungen pauschal kriminalisiert und mit allen der Kantonspolizei zur Verfügung stehenden Mitteln unterbunden werden, ohne dass der Verhältnismässigkeit Rechnung getragen wird. Es wurden Gummigeschosse in die bereits von beiden Seiten eingekesselte Menschenmenge geschossen – teilweise auf Kopfhöhe und aus nächster Nähe, wie Videoaufnahmen zeigen. Eine Möglichkeit zum Ausweichen bestand nicht, wodurch die eingekesselten Menschen in Panik versetzt wurden. Insgesamt dauerte die Kesselung 4.5 Stunden. Eine unabhängige Berichterstattung durch anwesende Medienschaffende wurde stark eingeschränkt, da ihnen durch die weiträumige Absperrung und durch gezieltes Blenden eine genaue Sicht auf die Geschehnisse verwehrt wurde, wie Videoaufnahmen zeigen.

​​​​​Auch Staatsrechtsprofessor Markus Schefer sagte gegenüber Bajour zum Polizeieinsatz am 8. März: «Die Verwendung von Gummischrot ohne Gefahr der Ausübung von Gewalt oder anderen schweren Verletzungen hochwertiger Rechtsgüter dürfte kaum zu rechtfertigen sein.»

Es stellt sich daher die Frage, welche Bedeutung die verfassungsmässigen Grundrechte der Versammlungs-, Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit für den Regierungsrat haben und wie er dafür sorgt, dass die Kantonspolizei den Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewährleistet.

In diesem Zusammenhang bitte ich den Regierungsrat um Beantwortung folgender Fragen:

  1. Erachtet der Regierungsrat das bereits im Voraus festgelegte Einsatzziel, die jährlich stattfindende feministische Demo am 8. März dieses Jahr mit allen Mitteln zu verhindern, grundsätzlich als sinnvolles Ziel?
  2. Ist der Polizeileitung bekannt, dass die Teilnahme an einer friedlichen nicht bewilligten Demonstration nicht verboten ist?
  3. Gibt es eine Grundrechtsschulung für Polizei und speziell für die Einsatzleitungen? Falls ja, wie erklärt der Regierungsrat, dass es trotzdem zur Verletzung der Versammlungs-  und Pressefreiheit kam? Falls nein, weshalb nicht?
  4. Richtet sich die Kantonspolizei in ihrer Einsatzstrategie nach dem Grundsatz, dass das mildeste zur Verfügung stehende Mittel zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gewählt werden muss? Ist sich der Regierungsrat bewusst, dass das komplette Unterbinden einer Kundgebung nur als Ultima Ratio in Frage kommt?
  5. Wie beurteilt der Regierungsrat die Hinderung der journalistischen Tätigkeit und die Verhinderung einer unabhängigen medialen Einschätzung der Demonstration und des Polizeieinsatzes durch das weiträumige Absperren des Einsatzgebiets? Wie beurteilt er das absichtliche Blenden von Medienschaffenden, um Aufnahmen vom Polizeieinsatz zu verhindern? Was wird der Regierungsrat unternehmen, damit bei Polizeieinsätzen in Zukunft die Pressefreiheit und eine unabhängige Beobachtung gewährleistet wird?
  6. Die über die Medien bereits im Vorfeld verbreitete Warnung vor einer nicht bewilligten Demonstration, die Präsenz der Polizei im Bereich des Barfüsserplatzes und die Durchsagen im Tram, welche die Meidung des Innenstadtbereichs empfahlen, vermittelten den Eindruck einer schwerwiegenden Gefahr für die Bevölkerung vergleichbar beispielsweise mit einer Bombendrohung. Wie wird der Regierungsrat in Zukunft sicherstellen, dass die Kantonspolizei bei ihren Einsätzen verhältnismässig agiert, auf eine Einschüchterung der Bevölkerung verzichtet und im Sinne der Grundrechte einen «chilling effect» vermeidet?
  7. Wie erklärt der Regierungsrat das Abschiessen von Gummigeschossen auf eine friedliche eingekesselte Menschengruppe, teilweise sogar auf Kopfhöhe und aus nächster Nähe, wie Videoaufnahmen zeigen? Notwehr kann hier kaum geltend gemacht werden, schliesslich rannten die Polizist*innen mit gezückten Schlagstöcken auf die friedliche Demonstration zu, um ein Transparent zu beschlagnahmen, und nicht umgekehrt.
  8. Warum werden Gummigeschosse sogar präventiv eingesetzt, obwohl dieses Mittel aufgrund der Gefahr schwerer Körperverletzungen bis zum Verlust des Augenlichts und zu Todesfällen durch Treffer im Halsbereich in Deutschland und weiteren Ländern Europas verboten ist?
  9. Die Kantonspolizei verfügt über mobile Lautsprecheranlagen, mittels derer Durchsagen auch aus grösserer Entfernung hörbar und verständlich wären. Weshalb wurden diese am 8. März 2023 nicht eingesetzt und stattdessen ein Megaphon verwendet, wodurch die Durchsagen laut Zeugenberichten gar nicht oder nur bruchstückhaft verstanden werden konnten?
  10. Kurz vor Mitternacht drangen ca. 20 vollausgerüstete Polizist*innen in ein Gebäude der Universität ein und unterzogen die dort anwesenden Personen erkennungsdienstlichen Massnahmen. Da die Universität dazu keine Bewilligung erteilt hat, muss für das Durchsuchen nicht öffentlicher Räume ein Grund gemäss § 51 des Polizeigesetzes vorliegen, also eine "gegenwärtige erhebliche Gefahr" oder die Suche nach einer Person, die "in Gewahrsam genommen werden darf" . In Gewahrsam genommen wurde niemand. Welche angebliche «gegenwärtige erhebliche Gefahr» ging von den Menschen aus, die mit einer Legitimationskarte der Universität das Gebäude betreten hatten?
    Die Polizei begründete in den Medien, dass sie die Securitas im Rahmen einer Einbruchsmeldung unterstützte. Wenn das zutrifft, warum wurden die Personen den gleichen erkennungsdienstlichen Massnahmen unterzogen wie die Demonstrationsteilnehmenden?
  11. Auf welcher Rechtsgrundlage wurden erkennungsdienstliche Massnahmen wie Fotografien von allen kontrollierten Demoteilnehmenden erstellt, obwohl die Identität mittels Ausweiskontrolle bereits festgestellt werden konnte? Wozu dienen diese Aufnahmen? Wann werden sie gelöscht?
  12. Wer hat wann und wie Entscheidungen über die Einsatzstrategie (inkl. mediale Warnung im Vorfeld) und die Einsatzmittel gefällt? Wer trägt die Verantwortung dafür, dass die ersten zwei «D» des 3D-Prinzips übersprungen und bereits vor der Kundgebung angekündigt wurde, auf Durchgreifen zu setzen?
  13. Welche Konsequenzen hat das Vorgehen der Polizei gegen friedliche Demonstrationsteilnehmende für die Polizeileitung und Einsatzleitung? Welche Konsequenzen hat das Abfeuern von Gummigeschossen aus nächster Nähe und auf Kopfhöhe für die beteiligten Polizist*innen, die Einsatzleitung und die Polizeileitung? Welche Konsequenzen hat das Behindern der journalistischen Arbeit für Polizeileitung und Einsatzleitung?
  14. Ein Tag nach dem übermässig harten Vorgehen gegen die 8. März-Kundgebung, liess die Basler Polizei den Fanmarsch der durch die Nähe zur rechtsextremen Szene bekannten Slovan Bratislava-Anhänger laufen. Wie erklärt der Regierungsrat diese offensichtliche Ungleichbehandlung der beiden Kundgebungen? Stellt das für den Regierungsrat einen Verstoss gegen das Rechtsgleichheitsgebot dar?

Tonja Zürcher (71)