Mietendeckel for ever!

Wenn wir im Jahr 2021 über LINKE Stadtpolitik in Berlin sprechen, schauen wir auf das Mietendeckel-Gesetz als international beachtetes Instrument sozialer Wohnraumversorgungspolitik einerseits und das laufende Referendum zur Vergesellschaftung renditegetriebener Vermietungskonzerne andererseits.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. April 2021 wurde der Mietendeckel durch den 2. Senat des Gerichts einzig in der Kompetenzfrage zwischen Bund und Ländern gekippt. Das Urteil lässt viele Fragen offen und sorgt sozialpolitisch aber auch rechtswissenschaftlich für ein mittelschweres Erdbeben, da es in erstaunlicher Härte im zweiten Jahr der Pandemie und ohne mündliche Verhandlung gefällt wurde. Damit Mieter*innen nicht unverschuldet in Not geraten hat der Rot-Rot-Grüne Senat ein Sofort-Hilfe-Programm aufgesetzt, um die sich aus dem Urteil ergebenden Rückzahlungspflichten der durch den Mietendeckel per Gesetz gekürzten Mieten gegenüber Vermieter*innen abzufedern.
Die Bundesverfassungsrichter*innen verwiesen die Kompetenz für das Wohnungswesen der Bundesländer - hier vor allem die Ausformulierung eines öffentlichen Mietpreisrechtes - ohne große Umschweife auf einen Zuschauerplatz gegenüber dem Machtbereich des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in Verantwortung der Bundespolitik.1
Demnach darf keines der 16 Bundesländer der BRD die Mieten öffentlich-rechtlich selber regeln, sondern die Mietengesetzgebung sei - so die konservativen Richter*innen - vermittelt über die „Mietpreisbremse“ des Bundes abschließend geregelt; gleichwohl bremst diese die Mieten nicht und ist nur ein Baustein der neoliberalen Deregulierung im Bereich des Wohnungswesens der BRD der vergangenen Jahrzehnte.
Mit dem Karlsruher Urteil wurde zunächst ein großer Erfolg sozialstaatlicher Re-Regulierungspolitik erstmal zerstört. Jedoch nur vorerst, denn wie sagte einst Victor Hugo: „Nichts ist so mächtig wie eine Idee deren Zeit gekommen ist“.
Doch wie kam es überhaupt zum Mietendeckel und was passiert da in Berlin aktuell?
Im Jahr 2015 wurde mit dem Berliner Mietenvolksentscheid eine neue gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft, im Sinne der Versorgung aller mit leistbarem Wohnraum, durch die Berliner Mietenbewegung eingefordert. Als wir 2016 in ein Rot-Rot-Grünes Regierungsbündnis eintraten, waren diese Forderungen der stadtpolitischen Initiativen für uns ein klarer Auftrag zur Verhandlung des Koalitionsvertrags.
Bereits 2014 ging die Initiative zur Freihaltung des Tempelhofer Flugfelds mit einem Volksbegehren an den Start, das sich gegen die von SPD und CDU vorgeschlagene Bebauung dieser Fläche richtete. Nach dem Motto, ‚Lieber keine Bauten als Luxusbutzen!‘, stimmte eine Mehrheit für eine Stadt für alle; wider die Verdrängung und soziale Entmischung der Stadt in „gute“ und „schlechte“ Quartiere.
In den vergangenen zehn Jahren haben wir als LINKE ein neues Verhältnis zu stadtpolitischen Bewegungen aufgebaut und wieder begonnen den Protest der Menschen als Auftrag und nicht als Gegner*innenschaft zu verstehen. Dieses positive Verhältnis zu neuen linken Mehrheiten und die Früchte der Kooperation u.a. mit linken Jurist*innen und stadtpolitischen Initiativen muss allerdings gehegt und gepflegt werden.
Nur wenn wir aus unserer Geschichte lernen, können wir dem täglichen Kampf gegen Verwertung und Kapitalinteressen wachen Auges und in breiten Bündnissen entgegentreten; mit verteilten Rollen, an unterschiedlichen Orten der Staatsapparate und jenseits davon, wird die Transformation der Gesellschaft möglich.
Mit dem Beschluss des Mietendeckelgesetzes haben wir nicht nur mit der Logik: Wohnraum = Ware gebrochen und damit die massenhafte Verdrängung von Menschen als scheinbarem Naturgesetz aufgekündigt. Mit dem Mietendeckel wurde die Eigentumsfrage in einer neuen Klarheit gestellt und plötzlich wurde sichtbar, wie sich die Interessen von Mieter*innen und Vermieter*innen gegenüberstehen.
Während die SPD lediglich die Mieten einfrieren wollte, drängten wir als LINKE auf einen harten Deckel mit klaren Preisvorgaben für Wohnungsmieten - die Mietenbewegung Berlins und die Linken innerhalb der Berliner GRÜNEN fest an unserer Seite.
Das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ begleitete den Kampf um den Mietendeckel konstruktiv. In Umfragen sprach sich eine Mehrheit überraschend für die Enteignungsforderung aus und damit war allen klar, dass demgegenüber die bloße Regulierung von Mieten nicht hätte scheitern können.
Dass es schließlich zu einer staatlichen Mietenregulierung kommen konnte und eine Regierungskoalition die Forderung, dass Wohnraum keine Ware sein soll in Regierungshandeln umsetzte, liegt an sehr konkreten Umständen und Akteur*innen.
Klar, Berlin war immer eine Mieter*innenstadt und wer gegen 85% der Stadtbewohner*innen Mietenpolitik macht, wird abgewählt.
Als LINKE vertreten wir wohnungspolitisch ein schweres Erbe in Berlin, denn zwischen 2002 und 2011 waren wir als Partei an einer Koalition beteiligt, die dem Verkauf von tausenden vormals kommunalen Wohnungen zustimmte. Dieser Fehler ist nicht ohne weiteres zu korrigieren und wird uns wohl für immer begleiten.
Das anzuerkennen ist die wesentliche Voraussetzung für eine neue LINKE Stadtpolitik, denn stadtpolitische Initiativen haben uns als Partei die frühere Privatisierungspolitik niemals verziehen und heutige führende Aktive aus der Mietenbewegung sind Genoss*innen die damals unsere Partei aus Protest gegen die Privatisierungspolitik verließen. Inzwischen etablieren sich neue Verbindungen zwischen Partei und Bewegung und „neue linke Mehrheiten“ für eine soziale Wohnungspolitik finden sich beispielsweise auch in den Verwaltungen oder Verbänden.
In dieser historischen Situation war der Handlungsspielraum für uns als LINKE, nachdem der Jurist Peter Weber im Dezember 2018 seinen Vorschlag für die landespolitischen Mietenregulierung in einer der renommiertesten juristischen Fachzeitschriften vorstellte, relativ deutlich und fast allen war sofort klar: Wir dürfen angesichts der massiv steigenden Mieten nichts unversucht lassen. Da die sozialstaatliche Mietenregulierung in der BRD eine lange Sozialstaats-Geschichte hat, fiel dieser Vorschlag ebenfalls auf fruchtbaren Boden.
Ein Jahr lang galt der Mietendeckel für Berlin und etliche Mieter*innen konnten viel Geld sparen, das nicht mehr in die Taschen der Vermieter*innen floss, sondern für den privaten Konsum übrig blieb. Nicht wenige bezahlten nur noch die Hälfte der Miete und dann passierte das, was als unvorstellbar galt: Die Durchschnittsmieten in Berlin sanken! Berlin war 2020 die einzige Großstadt weltweit mit sinkenden Mieten - immerhin eine Erleichterung im Jahr der Pandemie für viele Menschen! Schätzungsweise 3 Mrd. € hätten auch zukünftig jährlich statt in die Miete, in die lokale Wirtschaft fließen können, wenn die Mietenregulierung Bestand hätte.
Hätte? Könnte! Mietendeckel für alle!
Dass ausgerechnet die Vertreter der Immobilienlobby von FDP und CDU/CSU den Mietendeckel per Klage zu Fall brachten, in der Bundesregierung aber jeglichen Mieter*innenschutz verhindern und auch nicht bereit sind Steuerschlupflöcher für Immobilienspekulanten zu schließen, ist kein Zufall, denn sie sind es die jährlich fette Spenden der größten Baulöwen einstreichen.
Nach dem Urteil wiederum fordern Menschen in bundesweiten Umfragen, dass es eine schärfere Mietenregulierung geben soll und somit ist die Bundestagswahl im Herbst 2021 unverhofft zur Mietenwahl geworden - erst Recht in der Post-Merkel Zeit.
„Keine Rendite mit der Miete“ ist die Idee deren Zeit gekommen ist - weil Wohnen ein Grundrecht ist!
Katalin Gennburg, DIE LINKE, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses
1 Rechtswissenschaftliche und verfassungsrechtliche Beiträge zum Urteil finden sich hier: verfassungsblog.de