Die Wende von Kaiseraugst

Am Wochenende gab es Grund zum Feiern. Das Atomkraftwerk Fessenheim ging nach 43 Jahren Laufzeit vom Netz. Bis zum 30. Juni wird es endgültig abgeschaltet sein.

Diesen Erfolg möchten wir nutzen, um einen kleinen Rückblick in die Anti-AKW-Bewegung zu wagen. Denn auch der Kampf gegen das geplante AKW Kaiseraugst war erfolgreich. Am 1. April 1975 wurde das Baugelände in Kaiseraugst besetzt.

Eine kleine Geschichte über Widerstand und Repression von Aernschd Born.

© Dokumentationsstelle Atomfreie Schweiz / Fotolib Jahrgang 1975

Widerstand gegen den Bau des Atomkraftwerks in Kaiseraugst 1975 © Dokumentationsstelle Atomfreie Schweiz / Fotolib Jahrgang 1975

© Dokumentationsstelle Atomfreie Schweiz / Fotolib Jahrgang 1977

© Dokumentationsstelle Atomfreie Schweiz / Fotolib Jahrgang 1977

© Dokumentationsstelle Atomfreie Schweiz / Fotolib Jahrgang 1975

Widerstand gegen den Bau des Atomkraftwerks Kaiseraugst. © Dokumentationsstelle Atomfreie Schweiz / Fotolib Jahrgang 1975

Friedliche Atomenergie

1945 zerstörten Atombomben die Städte Hiroshima und Nagasaki. In den 50er und 60er Jahren wollte die Schweiz selbst ein Atomstaat werden. Der Bundesrat und mit ihm das Schweizer Volk (!) beschlossen, eigene Atomwaffen zu produzieren. Bereits wurde überlegt, wo innerhalb der Landesgrenzen Atombombentests durchgeführt werden könnten.

Atomwaffen benötigen spaltbares Material, z. B. aus dem Abfall von Atomkraftwerken. Deshalb plante die Schweiz vor gut 50 Jahren hauseigene «friedliche» Atomkraftwerke. 1968 ging das Versuchs-AKW im waadtländischen Lucens in Betrieb. Schon im Januar 1969 kam es dort zum GAU. Die Kernschmelze im Reaktor war nur deshalb für Mensch und Natur nicht so verheerend, weil sich das AKW Lucens unterirdisch im Berg befand.

Die Wende beginnt

Die Atomindustrie projektierte für die Schweiz zwölf Atomkraftwerke, darunter auch das AKW Kaiseraugst. Dagegen regte sich Ende der 60er Jahre erster Widerstand. Mutige Frauen und Männer aus der Region begannen, die Bevölkerung über die Gefahren der Atomkraft zu informieren.

Ich lebte damals 1974 als junger Mann in Basel. Ich sang meine Lieder in Jugendhäusern und kleinen Festivals. Nach einem Auftritt forderte mich ein Konzertbesucher auf, auch an ihren Anlässen gegen das AKW Kaiseraugst zu singen. Ich hatte keine Ahnung von dieser Thematik und las mich erst mal ein. Seither bin ich ein Gegner der Atomkraft.

Am Abend des 30. März 1975 klingelte in unserer WG das Telefon: Morgen Dienstag, am 1. April, würde das Gelände besetzt, um die soeben begonnenen Aushubarbeiten für das AKW zu stoppen. Es war kein Scherz. So packte ich am nächsten Morgen meine Gitarre und fuhr mit dem Zug nach Kaiseraugst. Durch Schneeregen und kalten Wind stapfte ich auf das Gelände, wo ein kleines Feuer brannte. Frierende Frauen und Männer standen drum herum und rieben die Hände. Das Wetter war wirklich hundslausig.

Dann kamen die Bauarbeiter. Wir setzten uns auf die Baumaschinen und sagten ihnen, sie könnten wieder nach Hause fahren. Die Stimmung war locker, sogar als ein Herr im dicken Fellmantel erschien. Es war der Direktor der Kaiseraugst AG, Ulrich Fischer. Er forderte uns auf, die Besetzung sofort zu beenden, jeden Tag Verzögerung würde er uns mit 200'000 Franken in Rechnung stellen.

Immer mehr Menschen trafen ein. Was mich überraschte, es kamen nicht nur junge Leute, wie ich das von sonstigen Demonstrationen her kannte. Viele gehörten zur Generation meiner Eltern und Grosseltern. Das war neu für mich.

Illegal – legitim – real

Die Medien schrieben, wir seien Gesetzesbrecher und unsere Aktion werde scheitern. Klar, die Besetzung war illegal. Aber es gab damals kein demokratisches Mittel gegen den Bau. Die Besetzung war Notwehr. Die Notwehr einer ganzen Region gegen den nuklearen Wahnsinn einer Atomokratie.

Es war wohl das erste Mal in neuerer Zeit, dass Menschen aus derart unterschiedlichen Lebenszusammenhängen aufeinandertrafen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Welten prallten aufeinander. Bürgerlicherseits waren Viele der Auffassung, die Besetzung sei ein symbolischer Akt, der denen in Bern einfach zeigen wolle, dass wir gegen dieses Kraftwerk seien. Die Linken hingegen betrachteten die Besetzung als reales politisches Druckmittel des zivilen Widerstandes, das mit der Forderung nach einem endgültigen Baustopp verbunden war.

In dieser ersten Woche organisierten wir eine Demo für folgenden Sonntag. Danach sollte entschieden werden, wie die Besetzung weitergeht.

Sonntag. Es kamen mehr, als wir in unseren kühnsten Träumen erhofft hatten. An die 20'000 Menschen strömten durch Matsch und Regen auf das Baugelände und beschlossen, die Besetzung fortzuführen, bis dass Bund und Atomlobby das AKW Kaiseraugst beerdigen. Die Besetzung dauerte elf aufregende Wochen, in denen die Besetzerinnen und Besetzer sich nicht auseinander spalten liessen. Das Resultat ist bekannt. Noch heute ist das AKW-Gelände Kaiseraugst eine Wiese und somit das sicherste Atomkraftwerk der Welt.

Atomausstieg JETZT!

Diese Besetzung von 1975 war der Beginn der Energiewende. Sie wurde «bereits» 36 Jahre später, also 2011, von der damaligen Energieministerin Doris Leuthard offiziell verkündet. Ihre «Energiestrategie 2050», die das Schweizer Stimmvolk deutlich angenommen hat, präsentierte den guteidgenössischen Atomausstieg, d.h. die AKW sollen gemütlich weiterlaufen bis sie nicht mehr sicher seien.

Nicht mehr sicher? Das heisst für mich: Alle AKW sofort abschalten! Nicht nur Mühleberg. Nicht nur Fessenheim. Alle! Mit Sonne, Wind und Wasser können wir unseren Energiebedarf decken.

Ah… und den politischen Willen dazu braucht es natürlich auch.

 

Aernschd Born
ehem. Besetzer und heute Kurator der Dokumentationsstelle Atomfreie Schweiz, www.atomfrei.ch

Die erste Fassung des Artikels erschien im BastA! Bulletin 04/2016
Das Copyright der Bilder liegt bei der Dokumentationsstelle Atomfreie Schweiz