Corona Dystopie
In den letzten Jahren kam es immerhäufiger vor, dass ich mich beim Lesen der Nachrichten an Weltuntergangsbücher, filme und serien erinnert fühlte. Seien es tödliche Überschwemmungen, endlose Waldbrände oder der verzweifelte Kampf ums Überleben in Schlauchbooten oder Lagern ausserhalb des Paradieses der Reichen und Auserkorenen. Mit Corona erschien eine dieser dystopischen Szenarien plötzlich nicht mehr nur in den Nachrichten, sondern bei uns vor der Haustüre, im Block oder sogar in der Familie. Die Dystopie der verseuchten Welt, in der neben einer mächtigen Elite nur diejenigen überleben, welche sich anpassen, der Obrigkeit gehorchen und alle Unangepassten denunzieren. Wie in all diesen Filmen und Serien gibt es aber auch im realen Leben noch eine dritte Gruppe: Die Gruppe der Rebell*innen, welche das System hinterfragen und die Aussichtslosigkeit durchbrechen wollen. Darauf werde ich am Schluss nochmals zurückkommen.
Das Dystopische an der CoronaKrise ist nicht nur ihre unmittelbare Bedrohung unserer Gesundheit und die reale Gefahr, durch sie geliebte Angehörige und Freund*innen zu verlieren. Die Massnahmen, welche durch den Bundesrat (und andere Regierungen weltweit) im Notrecht unter Ausschluss einer parlamentarischen Diskussion und ohne Überprüfung ihrer Verhältnismässigkeit durch Gerichte erlassen wurden, bringen ebenfalls Gefahren für grosse Teile der Bevölkerung. Längerfristig werden wir sie uns vermutlich noch stärker beschäftigen als das Virus selbst.
Eine der ersten Massnahmen war die weitestgehende Schliessung der Grenzen. Seit dem 2. Weltkrieg waren sie nicht mehr so abgeriegelt wie heute. Offen blieben sie nur für Menschen, die der Wirtschaft nützlich sind. Familien und Paare wurden jedoch getrennt und Menschen von ihren Pflanzgärten abgeschnitten, obwohl aus virologischer Sicht das Schliessen der Grenzen keinen Sinn macht, wie unter anderem der Basler Kantonsarzt klarstellte.
Die trinationale Region Basel, in der die Grenzen nicht zuletzt auch wegen den Tramausbauten nach Deutschland und Frankreich immer mehr an Bedeutung und Wahrnehmung verloren hatten, wurde auseinandergerissen. Weil am Rhein oder Saint Louis sind plötzlich gefühlt weiter weg als Locarno oder Scuol. Der Reflex aus Zeiten der Weltkriege und des Kalten Krieges, bei
Bedrohung die Grenzen zu schliessen, wird zu einer massiven Belastung für die Menschen und für das europäische Friedensprojekt, so zwiespältig und angeschlagen es ohnehin schon ist. Die SVP reibt sich bereits die Hände. Bessere Voraussetzungen könnte ihnen die bürgerliche Politik nicht bieten, im September mit der Kündigungsinitiative die Personenfreizügigkeit zu beenden. Nur wer der Wirtschaft dient, darf dann noch ins «Paradies». Dabei dachten wir, die dunklen Zeiten des Saisonnierstatuts hinter uns gelassen zu haben, in der Arbeiter*innen über keinerlei Sicherheit verfügten und ihre Kinder verstecken mussten, weil der Familiennachzug verboten war.