Betteln und Verbote - eine Polemik

Es ist unübersehbar und ­verschämt: wie jeden Sommer wird an allen Ecken dieser Stadt gebettelt!

Auf dem Claraplatz versuchen charismatische junge Erwachsene, eine Unterschrift für einen Dauerauftrag für die Rettung der Pandabären zu ergattern. Oder für Kinder mit tränendem Kullerauge. Oder doch eher für ein Handyabo?

Auf ebenjenes Handy (woher haben die bloss so schnell die neue Nummer bekommen?) rufen dann ständig Damen und Herren aus den Callcenters in aller Welt an und bitten um einen Krankenkassenwechsel oder die Meinung zu einem halbrelevanten Thema.

Der Gang durch die Innenstadt: ein Spiessrutenlauf zwischen Wahlplakatständern und ihren leibhaftigen Ebenbildern, welche mit Schlag­Worten ebenfalls minderer Relevanz inständig um ein Kreuzchen neben ihrem Namen betteln. Oder um eine stimmberechtigte Unterschrift auf einem Initiativreferendumpetitionsbogen für die Abschaffung eines soeben angeschafften Gesetzes. 1

Da lob ich mir doch die subtilere Geldsammelmethode der Polizeibeamt*innen, welche systematisch, diskret und wortkarg ihre Einzahlungsscheine unter Scheibenwischer klemmen. Allerdings versäumen sie deswegen, weitaus wichtigere Aufgaben wahrzunehmen. Zum Beispiel auf den städtischen Wildcampingplätzen für Ruhe und Ordnung zu Sorgen. Jetzt, wo nach der Krise jede*r Tourist*in die arg gebeutelten Kurzarbeitskässeli füllen soll und deshalb besonders zuvorkommend gehätschelt werden muss.

Blinkende Leuchtreklamen, Pop­ups beim Surfen, Wurfsendungen im Briefkasten trotz Stopp­Werbung­Kleber, Littfasssäulen auf Trottoirs, Gratismüsterli auf der Bahnhofspasserelle: sie alle betteln um Aufmerksamkeit und einen Teil unseres Portemonnaies oder Bankkontos.

Und psst, ganz unter uns: ein Teil meines Stellenprofils ist das Fundraising, also «Maßnahmen mit dem Ziel der Akquise von Mitteln für gemeinnützige Organisationen und soziale Projekte.» Betteln ist also mein Beruf. Genauso wie es der Beruf von Ludovic ist, welcher mit seinem Clan für ein paar Wochen am Wettsteinplatz genächtigt hat, um einen minimalsten Teil unseres Wohlstands an eine soziale Organisation, nämlich seine Familie, umzuverteilen.

Doch, so was gibt es tatsächlich: Das allgemeine Bettelverbot wurde durch einen Entscheid der Stimmbevölkerung vom November 2019 aufgehoben. Verboten bleibt das «bandenmässige Betteln». Am 1. Juli trat das neue Übertretungsstrafgesetz (ÜStG) in Kraft und bereits einen Monat später, mitten im medialen Sommerloch und am Anfang des Wahlkampfs wurde gefordert, das Bettelverbot wieder einzuführen. Abgesehen vom fragwürdigen Demokratieverständnis derer, die sonst gerne auf dem «Volkswillen» beharren, wird hier Stimmung gemacht gegen und auf Kosten von Menschen am untersten Rand der – hier europäischen – Gesellschaft. Dabei wäre ja auch das revidierte ÜStG bereits fremdenfeindlich und antiziganistisch genug, wird doch explizit das Bild von mafiösen Bettelbanden gezeichnet, welches in allererster Linie auf Roma zielt. Dass Familien nicht das gleiche wie kriminelle Vereinigungen sind und dass die Mythen vom Bettelboss nachweislich nicht stimmen, interessiert offensichtlich nicht.

Betteln kann störend sein, die Sichtbarkeit von Armut ebenfalls. Diese Probleme lassen sich aber nur lösen, indem Ursachen der Armut und nicht die Armutsbetroffenen bekämpft werden.

Michel Steiner, Gassenarbeiter beim Schwarzen Peter, Grossratskandidat Grossbasel West