Angriff auf die Grundrechte: Wie Sans-Papiers das Recht auf Bildung und Gesundheit entzogen wird

Am 13. März hat der Ständerat einer SVP-Motion zugestimmt. Sie verlangt, dass die Behörden in den Kantonen und Gemeinden «sämtliche relevanten Daten von illegalen Migranten betreffend Aufenthaltsstatus, Wohnort, Versicherungsstatus, Prämienzahlungen, Prämienvergünstigungen, Versicherungsleistungen von Krankenkassen, AHV, IV und weiteren Sozialversicherungen» austauschen und abgleichen.

Das Bild zeigt eine Karrikatur. Die SVP zieht die Parteien FDP, Mitte und GLP mit sich nach Rechts. Sie ruft: "Erst die Sans-Papiers, dann die Migranten, danach knöpfen wir uns die Armen vor. SP und Grüne stehen fassungslos am linken Rand.

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Obwohl dieses Ansinnen sowohl gegen die Bundesverfassung wie gegen internationale Menschenrechtsstandards verstösst, haben neben der SVP auch die FDP und die Mitteparteien die Motion unterstützt. Der Bundesrat empfahl Ablehnung.

Das erklärte Ziel der Motion ist es,  «die Anwesenheit von illegalen Migranten in der Schweiz dauerhaft zu bekämpfen und wenn immer möglich dauerhaft zu unterbinden». Sie wird dieses Ziel verfehlen. Das sieht auch die «Plateforme Sans-Papiers Suisse» so, in deren Medienmitteilung es heisst: «Sans-Papiers leben bereits heute unter prekären Bedingungen in der Schweiz. Die Motion wird nicht dazu führen, dass sie das Land verlassen.» Trotzdem oder erst recht hätte eine Umsetzung der Motion verheerende Auswirkungen. Heute können Sans-Papiers eine Krankenversicherung abschliessen und ihre Kinder zur Schule schicken, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Daten an die Migrationsbehörden weitergeleitet werden. Arbeitgeber*innen können Sans-Papiers bei den Sozialversicherungen anmelden. Fallen diese Möglichkeiten weg, verschlechtern sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sans-Papiers massiv. Sie werden nur noch im äussersten Notfall ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Schwangere erhalten keine angemessene Betreuung. Und da für die Anmeldung zur Schule ein Krankenversicherungsnachweis erforderlich ist, werden Kinder nicht mehr eingeschult.
Noch ist nicht klar, ob die Motion wortgetreu umgesetzt wird. Immerhin hat Bundesrat Beat Jans in der Debatte betont, er werde keine Massnahmen umsetzen, die gegen geltende nationale und internationale Rechtsnormen verstossen. Sollte es doch so weit kommen, bleibt wohl nur das Referendum.

Im Schlepptau der SVP

Dass die SVP die Motion eingereicht hat, verwundert nicht. Seit Jahrzehnten will uns diese Partei weismachen, dass die Zuwanderung der Grund allen Übels sei. Wohnungsnot? Pflegenotstand? Staus auf den Autobahnen? Überfüllte Züge? Ökologische Krise? Angst um Arbeitsplätze? Häusliche Gewalt? Kriminalität? Alles eine Folge der «Masseneinwanderung»! Und das simple Rezept lautet: Ausschaffen und Grenzen dicht machen.

Das Dumme ist nur, dass die SVP mit dieser erbärmlichen Rhetorik bei der Wählerschaft Erfolge verbucht. Was wiederum zur Folge hat, dass Politiker*innen bis weit ins bürgerlich-liberale Lager hinein meinen, ins gleiche Horn blasen zu müssen. Und so winken die eidgenössischen Räte eine Verschärfung des Asylrechts nach der andern durch. Im vergangenen Jahr wurden 4738 Menschen gegen ihren Willen ausgeschafft. Unter anderem werden auch wieder regelmässig Ausschaffungen nach Afghanistan durchgeführt. Und dass eine Motion wie die hier zur Diskussion stehende überwiesen wird, wäre vor 5 Jahren noch undenkbar gewesen.

Dasselbe Trauerspiel können wir heute in ganz Europa, ja weltweit beobachten: Rechtspopulistische, zum Teil offen faschistische Parteien treiben die einst «staatstragenden» liberalen Kräfte vor sich her und drücken der Politik ihren Stempel auf. Die menschenverachtende Rhetorik der Ultrarechten wird «salonfähig». Die Politik verludert, die Demokratie zerbröselt.

Was also tun?

Sie erwarten jetzt sicher eine Antwort. Sie lautet: Ich weiss es nicht. Was ich aber weiss: Aufgeben ist keine Option. Ich habe kürzlich eine Karte von Medico International in die Hände gekriegt. Darauf standen zwei kurze Sätze: «Die Welt zerbricht. Solidarität verbindet.»

Martin Flückiger, Vorstand Anlaufstelle für Sans-Papiers