Wie heiss wird der Herbst? Wie kalt der Winter?

Die Proteste gegen Inflation und steigende Lebenshaltungskosten - im Besonderen gegen zu hohe Energiepreise - haben sich in den letzten Wochen in verschiedenen europäischen Ländern formiert. Sei es der breite soziale Widerstand in Grossbritannien oder die unterschiedlichen Kampagnen in Deutschland. Alle zielen auf eine breite Protestbewegung gegen die Umlagerung der gestiegenen Energiepreise auf die Bevöl­kerung ab.

In Deutschland konkur­renzieren diese linken Kampagnen mit den Auf­märschen der extremen Rechten – besonders in den ländlichen Regionen in Ostdeutsch­land. Es geht hier auch um hegemoniale Macht. Bis anhin ist noch kein breites linkes Bündnis zwischen Gewerk­schaften, radikalen Linken und Zivilgesell­schaft erkennbar. Die linken Kampagnen sind verzettelt und Teile davon verstricken sich in Widersprüche aufgrund ihrer Positionierung zum tobenden Krieg des Kremls gegen die Ukraine.

Ob es zu einem heissen Protest-Herbst kommt, hängt möglicherweise im entschei­denden Masse von der sozialen „Ausgangs­temperatur“ ab und wie stark eine Wirtschaft oder Region bisher vom billigen russischen Erdgas und Öl abhängig war. Je höher die Inflation und je grösser die Existenzängste, desto eher wächst die Bereitschaft mit Demonstrationen und Kundgebungen gegen die entstehenden negativen Auswirkungen zu protestieren.

Energiemangel und Krieg in der Ukraine

Mit dem Einmarsch der russischen Armee am 24. Februar 2022 in die Ukraine hat sich der abzeichnende Mangel an Gas und Öl noch­mals dynamisiert. Einerseits zerstört der Krieg mit katastrophalen ökologischen Folgen die zur Energieförderung notwendige Infrastruktur. Andererseits treibt das Putin-Regime mit der Drosselung der Gas­lieferungen als Reaktion auf die berechtigen wirtschaftlichen Sanktionen die Energie­preise bewusst in die Höhe. 

Die aktuelle Situation zeigt in aller Deutlichkeit auf, wie massiv die Wirtschaft von fossiler Energie abhängig ist. Einzelne Nationen mehr als andere – aber die kapita­listische Mega-Maschine mit ihrer Grund­struktur zum ständigen Wachstum ist auf billiges Öl, Gas und Strom angewiesen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von auto­kra­tischen fossilen Regimes sowie die Unvereinbarkeit mit notwendigen Klima­zielen werden bewusst in Kauf genommen. Seit Jahrzehnten ignorieren die europäischen Staaten bewusst die Notwendigkeit, alter­native Energie-Kreisläufe aufzubauen und den Ausstieg von billiger fossiler Energie voranzutreiben. Dies rächt sich nun umso mehr. Die alten  Atomkraftwerke in Frankreich und anderswo sind an ihr Lebensende gekommen oder müssen in grosser Zahl vom Netz genommen werden, weil die Flüsse aufgrund der Klimakrise zu wenig Wasser haben.

Es ist davon auszugehen, dass die Energie­preise auch in den kommenden Jahren hoch bleiben. Weder der Krieg in der Ukraine noch die wirtschaftlichen Sank­tionen sind die Ursache für die hohen Energiepreise - es sind strukturelle Faktoren. Ein immer steigender Energieverbrauch trifft auf eine zunehmende Knappheit von fossiler Energie und auf eine fehlende Infrastruktur von erneuerbaren Energieträger. Zusätzlich sind die Energie­preise einem spekulativen Casino-Gambling ausgesetzt, was die Preise von den Ent­stehungs­kosten entkoppelt und zusätzlich anheizen. Dieser Markt ist stark kontinental organisiert und eine reine nationale Energie­versorgungsstrategie läuft ins Leere. Dieses Casino ist einer der Hauptgründe, weshalb der Bundesrat dem schweizerischen Strom­versorger AXPO vier Milliarden Franken als Rettungsschirm zur Verfügung stellte, um die Liquidität abzusichern.

Ein heisser Herbst mit Widersprüchen?

Einzelne südliche europäische Staaten (wie Spanien, Italien oder Frankreich) haben strukturelle Massnahmen getroffen und für die Endverbraucher und für die Wirtschaft mit Gas-Preisdeckeln auf die steigenden Preise reagiert. Zudem sind sie aufgrund der Sanktionen auf alternative Lieferanten wie Algerien oder auf Gas aus den LNG-Flüssig­gasanlagen ausgewichen. In Deutschland bestehen unterschiedliche linke Kampagnen und Bündnisse mit teilweise proble­matischen Forderungen. Das Bündnis „Heizung, Brot und Frieden“ verlangte u.a. die Wieder­inbetriebnahme von Nordstream 2 und machte die Sanktionen gegenüber Russland für die Preissteigerungen verant­wortlich. Andere Kampagnen betonen eine solidarische Krisen­politik und grenzen sich von rein natio­na­listischen Forderungen ab. Die Kampagne „Genug ist Genug“ mit Bezug zur britischen Kampagne kombinieren For­derungen von Lohnerhöhungen mit Verlängerung des 9-Euro-Tickets und der Deckelung von Energiepreisen – weiter­gehende antikapi­talistische und öko­logische Forderungen sind selten. 

Eher mild in Basel

In der Schweiz und in Basel ist es eher mild und es ist nicht damit zu rechnen, dass es zu einem heissen Herbst kommen wird. Neben der Stärke des Frankens ist auch die Inflation im Vergleich zu unsere Nach­barstaaten deutlich tiefer ist. Da der Energiemarkt in der Schweiz bei den Kleinverbrauchenden nicht vollliberalisiert ist, besteht ein gewisser Schutz vor sprunghaften Preissteigerungen. Zudem befindet sich ein Grossteil der Energie­versorger im Besitz der Kantone und Gemeinden. Der Bundesrat hat eine Spar-Kampagne lanciert, deren Wirkung zurzeit noch nicht absehbar ist. Die Kampagne ist grundsätzlich sinnvoll, blendet aber die Aspekte der Ungleichheit vollständig aus. Mittels individuellen Sparappellen soll ein Stromausfall im Winter verhindert und dadurch die Zukäufe aus dem europäischen Energiemärkten tief gehalten werden. Ein bürgerliches Komitee rund um den Energie Club Schweiz hat eine nationale Initiative „Blackout stoppen-Jederzeit Strom für alle“ lanciert – die zum Ziel hat, die Energieversorgung für die Wirtschaft in der Schweiz mit allen Mitteln sicherzustellen. Dazu gehören auch der Ausbau der Kernenergie und der Abbau von Naturschutz­massnahmen. Eine Kampagne der Linken, die einerseits die Energiepreise für Menschen mit tiefen Ein­kommen abfedern möchte und andererseits für einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energie und Stärkung des Service Publics Eintritt ist nicht in Sicht.
In Basel steigen die Stromkosten zwischen 12-15 Prozent und die Heizkosten je nach Energie­träger bis zu 40%. Im schwei­zerischen Vergleich steigen die Stromkosten zwar moderat – sie befinden sich aber auf einem hohen Niveau. Es muss damit gerechnet werden, dass die gestiegenen Heizkosten auf die Mieter:innen abgewälzt werden.

Für einen solidarischen Winter und für die Klimagerechtigkeitsinitiative Basel 2030

Im August kommunizierte die Regierung des Kantons Basel-Stadt ihre Massnahmen zur Reduzierung der Energiekosten (Senkung der Raumtemperatur) und den Preisanstieg bei Strom und Gas. Bis zur mündlichen Ableh­nung unserer Motion für einen Energie-Unterstützungsfonds im Grossen Rat durch den Regierungsrat, wurden keine sozial­politischen Begleitmassnahmen definiert. Die Regierung und alle Fraktionen bis auf das grün-alternative Bündnis lehnten den Vorstoss für eine zielgerichtete Abfe­derung und Deckelung der Energiekosten für Menschen mit tiefen Einkommen ab. Ein direktes Eingreifen auf die Strom- und Gaspreise wurde mit dem Argument der Subven­tionierung von fossiler Energie abge­lehnt. Eine gezielte Preisabfederung ist jedoch nicht klimaschädlich, da der grösste Teil der verbrauchten Energie von Menschen und Familien mit tiefen Einkommen als Grund­bedarf ohnehin verbraucht werden muss. Die von der Regierung angedachte Erhöhung der Transferleistungen (Prämien­verbilligungen, Mietzuschüsse, Ergän­zungs­leistungen, Sozial­hilfe etc.) werden jedoch bei einem Teil der Armutsgefährdeten nicht ankommen und zudem nicht ausreichen, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten voll­ständig aufzu­fangen. Die Inflation und die Teuerung werden mehr Menschen von Armut betroffen machen und deshalb sind soli­darische Unterstützungs­massnahmen wichtig – auch wenn damit nicht alle Widersprüche aufgelöst werden.
Neben einer gezielten und direkten Ent­lastung von hohen Energiepreisen ist es dringender denn je den Ausstieg aus dem fossilen Kapitalismus voranzubringen. Die ökolo­gische Dimension muss bei allen sozialen Konflikten berücksichtigt und darf nicht ausgeblendet werden. Es geht nicht darum einzig die Kaufkraft zu erhalten, um im selben Stil einfach weiter zu machen. Es geht darum die Wirtschaft und mit ihr die Energie­versorgung umzubauen und den Übergang zu nicht fossilen Energieträgern konsequent umzu­setzen sowie die Ressourcen­ver­schwendung zu beenden. Die Abstimmung über die Klimagerechtigkeits­initiative Basel 2030 diesen November hat auch unter diesen Prämissen einen politisch bedeutenden Stellenwert und muss dringend gewonnen werden. Dabei geht es auch um die globale Verantwortung der industriali­sierten Länder, die für den Grossteil der Klimaerhitzung verantwortlich sind. Der Einsatz für Klimagerechtigkeit und für die Erreichung des notwendigen wirtschaftlichen Umbaus sind mit solidarischen Massnahmen zur Armuts­prävention zu kombinieren – denn nur so werden wir einer ökosozialistischen Perspek­tive gerecht.


Oliver Bolliger, BastA!-Grossrat und Präsident der Gesundheits- und Sozialkommission