Stromgesetz: Ja, aber...
Es braucht einen starken Ausbau bei den erneuerbaren Energien, um den Wegfall der uralten AKW zu ersetzen und den steigenden Strombedarf durch den Ersatz von Öl- und Gasheizungen sicherzustellen. Das Stromgesetz schreibt dafür verbindliche Ziele fest:
• Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Sonne, Wind, Biomasse und Geothermie von heute rund 5 Terawattstunden auf mindestens 35 Terawattstunden erhöht werden.
• Die Wasserkraft soll bis 2035 pro Jahr durchschnittlich 37.9 Terawattstunden produzieren. Das ist etwas weniger als 2023 (41 TWh), aber viel mehr als im trockenen 2022 (31 TWh).
• Die Winterstromproduktion soll bis 2040 um mindestens 6 Terawattstunden erhöht werden.
Finanzielle Förderung und vereinfachte Verfahren
Mit dem Gesetz werden Solaranlagen auf Gebäuden durch eine schweizweit harmonisierte Mindest-Einspeisevergütung gefördert. Heute ist der Betrag, den man als Besitzer*in einer Solaranlage für den Strom bekommt, von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich und teilweise sehr tief. Der Ausbau bei der Wasserkraft soll in erster Linie mit neuen Speicherwasserkraftwerken erreicht werden. Im Gesetz werden 16 konkrete Projekte festgeschrieben, für die erleichterte Planungsbedingungen gelten. Bei diesen Anlagen braucht es keine Nutzungsplanung mehr, sondern nur noch eine Konzession. Es ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich, ob die Konzession vom Kanton (z. B. Kanton Bern) oder der Gemeinde (z. B. im Kanton Graubünden) erteilt wird. Je nachdem verlieren die Gemeinden durch diese Änderung an Einflussmöglichkeiten. An den Beschwerdemöglichkeiten durch Umweltverbände oder Private ändert sich aber nichts.
Schmerzhafter Eingriff in die Natur
Diese planerische Vereinfachung würde beispielsweise auch für einen Stausee unterhalb des schmelzenden Triftgletschers im Berner Oberland mit seiner wertvollen alpinen Auenlandschaft gelten. Damit sind wir beim problematischen Teil des Stromgesetzes angelangt: Die Wasserkraft in der Schweiz ist eine ausgepresste Zitrone. Es gibt nur sehr wenige Projekte, bei denen ohne schmerzhaften Eingriff in die Natur mehr Strom produziert werden kann. Die im Stromgesetz festgeschriebenen Ausbauziele übersteigen das naturverträgliche Potenzial deutlich.
Auenschutz wird geschwächt
Das Stromgesetz weicht den Schutz nationaler Naturschutzgebiete auf. Neu wäre es möglich, das Wasser oberhalb von geschützten Auen in Speicherseen und Wasserkraftwerke abzuleiten. Für die Auen bleiben nur noch die sogenannten Restwassermengen, zu wenig um die Artenvielfalt zu erhalten. In Auengebieten unterhalb der abschmelzenden Gletscher könnten sogar direkt Staumauern und Wasserkraftwerke gebaut werden. Dabei sind diese Gebiete enorm wichtig für Arten, die durch die Klimaerhitzung ihren Lebensraum verlieren.
Keine Solardachpflicht – dafür Drohung neuer AKW
Die Bundesparlamente konnten sich nicht durchringen, eine Solardachpflicht für alle neuen Gebäude einzuführen. Zudem gibt es keine Pflicht für die Umsetzung von Effizienzmassnahmen, wie beispielsweise den Ersatz von Elektroheizungen durch effizientere Wärmepumpen. Gleichzeitig droht die Atomlobby mit dem Endlosbetrieb des ältesten AKW der Welt (Beznau), dessen Reaktorbehälter immer spröder wird, und dem Bau neuer AKW, was nicht mal wirtschaftlich Sinn macht. Bei der aktuellen Ausrichtung der Schweizer Politik ist die Drohung «entweder ihr schluckt das Stromgesetz oder es gibt neue AKW» leider keine leere Drohung.
Entsprechend dem Beschluss der BastA! Mitgliederversammlung werde ich Ja zum Stromgesetz stimmen. Aber mit einer grossen Wut im Bauch über die rechts-bürgerliche Politik, die mir nur die Auswahl lässt zwischen ungebremster Klimakrise, neuen AKW und der Zerstörung von Auengebieten, die für den Stopp des Artensterbens unersetzbar sind.
Tonja Zürcher, Grossrätin