Steuerpolitik ist Klassenpolitik

Nur wenige Politikfelder erscheinen auf den ersten Blick so unattraktiv wie Steuerpolitik. Vielleicht liegt es an der kollektiven schmerzhaften Erfahrung, die wir beim Ausfüllen (oder eben nicht ausfüllen) der Steuererklärung, dann aber spätestens mit dem Erhalt des Steuerbescheids miteinander teilen. Egal, wie viel oder wenig es zu zahlen gilt. Ein wenig denken wir alle vermutlich: „So viel? – Das ist doch nicht fair!“. Vielleicht ist der Komplex auch so unattraktiv, weil wir wissen, dass die wirklich Reichen eh immer Schlupflöcher finden, um ihre Steuern zu „optimieren“, während wir jeden Rappen deklarieren müssen. Aber vielleicht – und ich denke: vor allem! – finden wir Steuerpolitik auch so langweilig, weil sie zu einer technischen, mathematischen Sache verkommen ist. Steuerpolitik wird selten anhand des Bedarfs einer Gemeinschaft diskutiert. Sie wird gemeinhin als Verwaltungsakt betrieben.

Das hat sich auch sehr deutlich an der Frage der Steuerreform 17 gezeigt. Die Argumente und der Entstehungsprozess der kantonalen Reform wurden zu einem Akt der Verwaltung ­die politische Auseinandersetzung ins Hinterzimmer vertagt. Chantal Mouffe sieht in solchen Verfahren einen Verfall von Politik. Wenn Konflikte nicht mehr ausgetragen, sondern unterdrückt, Parteien einander immer ähnlicher werden und TechnokratInnen die Oberhand gewinnen, so entsteht ein politisches Vakuum, das vor allem von populistischen Kräften genutzt wird, heisst es dazu in der WOZ. Sehr treffend ist diese Umschreibung auch für den Entstehungsprozess der Steuerreform 17 bzw. der STAF auf nationaler Ebene. Anstatt darüber zu streiten, an welchen Orten die Gemeinschaft Geld benötigt, um Bildung, soziale Sicherheit, Wohnungsbau oder Gesundheit voran zu treiben – oder allgemein gesprochen, die öffentliche Daseinsvorsorge auszubauen, wird darüber diskutiert, was den Konzernen zumutbar ist. Das Ergebnis der Diskussion: „Weniger ist mehr.“

Dabei zeigt sich besonders an dieser nicht geführten Auseinandersetzung zu Verteilungskämpfen, dass Steuerpolitik eben doch sexy sein kann, wenn man sie mit den aktuellen Kämpfen um soziale Gerechtigkeit und Emanzipation zusammen denkt. Wenn man sie also dem abstrakten, neoliberalen Narrativ des Sachzwangs zum Steuerdumping entwendet und konkret werden lässt, indem man sie mit unseren sozialen Kämpfen verbindet.

Dass Steuerpolitik einen sozialen Ausgleich schaffen muss und dieser Kampf an der Seite aller Armen auf dieser Welt geführt werden muss, ist dabei nur ein Aspekt. 40 Jahre dauert das internationale Unternehmenssteuerdumping nun bereits an: Mit katastrophalen Folgen in der Vermögensverteilung. Die reichsten 0,7% verfügen über rund 45% des Vermögens, während die ärmsten 70% weniger als 3% des weltweiten Vermögens besitzen, konstatiert der „credit Suisse Global Wealth Databook 2017“.

Wir können Steuerpolitik aber auch lokaler anschauen, wenn wir uns den Bedarf an kostengünstigem Wohnraum oder die Kämpfe um Sparmassnahmen in der Bildung vor Augen halten. Selbst die Kämpfe um Gleichstellungspolitiken und Altersarmut – insbesondere von Frauen ­ haben konkret etwas mit Steuerpolitik zu tun. So hat Basel zwar ein vergleichsweise gutes Netz an Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu bieten, doch sind diese oft nur dank Subventionen bezahlbar und die Arbeit der Kinderbetreuer*innen bleibt – gemessen an ihrer tatsächlichen Leistung – schlecht entlohnt.

Sparmassnahmen an der Uni, wir wissen von überlastetem Pflegepersonal, das nun mit der Spitalfusion zusätzlich unter Druck gerät und wir sehen das im Notstand an bezahlbaren Wohnungen. Wenn die Steuerreform 17 umgesetzt und aus dem kantonalen Überschuss Nullrunden oder gar Haushaltsdefizite werden, spitzen sich die Kämpfe um Verteilungsgerechtigkeit und das Notwendige zu.

Versuchen wir also Steuerpolitik als Klassenpolitik zu denken und sie zu repolitisieren, indem wir unsere Forderungen und Kämpfe, die wir in den sozialen Bewegungen führen, ernst nehmen. Indem wir uns also auch selbst ernst nehmen. Dazu müssen wir uns, mit Nancy Fraser gesprochen, sowohl dem progressiven Neoliberalismus als auch dem reaktionären Populismus verweigern und eine neue Klassenpolitik entwickeln, die die politischen und gesellschaftlichen Kämpfe zusammendenkt.

Nur, wenn wir der Politik des kleineren Übels ­ dem Credo unter dem auch die Steuerreformen bzw. der Kuhhandel stehen ­ eine Absage erteilen, können wir „das Fundament für eine machtvolle neue Koalition legen, die sich vornimmt, Gerechtigkeit für alle zu erkämpfen“.