Klimagerechtigkeit ist keine Wahl

Die Wahlen vom 20. Oktober brachten eine für die Schweiz historische Verschiebung der Sitze. Gemäss ersten Nachwahlbefragungen haben neben den Grünen und Grünliberalen vor allem auch die gut Ausgebildeten und Besserverdienenden gewonnen. Das ist zum einen strukturell bedingt, weil Menschen mit Migrationshintergrund und ohne Stimmrecht durchschnittlich ein tieferes Einkommen haben. Zudem gilt laut Peter Moser, Chefstatistiker des Kantons Zürich: «Je weniger gut ausgebildet eine Person ist und je weniger sie verdient, desto weniger beteiligt sie sich grundsätzlich an der Politik.» Die Grünen und die GLP zusammengerechnet kommen gemäss Tamedia bei den Wähler*innen, die einen Universitäts­ oder Hochschulabschluss haben, auf rund 32%.

Wird das Pariser Klimaabkommen ernst genommen, muss die bevorstehende Legislatur richtungsweisende klimapolitische Entscheidungen treffen. Dass Wahlsieger*­ innen vornehmlich gut gebildet und besserverdienend sind, birgt die Gefahr einer Klimapolitik in der die soziale Frage ausgelassen wird. Die Folgen davon zeigen sich zurzeit auf der ganzen Welt. In Frankreich gehen seit einem Jahr die Gelbwesten auf die Strassen und auch in Haiti und Ecuador protestieren die Menschen gegen die Erhöhung der Kraftstoffpreise. «Viele junge Menschen trauen dem politischen Entscheidungssystem nicht mehr zu, für allgegenwärtige Probleme wie den Klimawandel und die Ungleichheit Lösungen zu finden», glaubt Politologe Jannis Grimm vom Berliner Institut für Protest­ und Bewegungsforschung (IPB).

Keine Krise der Natur

Um eine Energiewende und eine soziale Wende zu entwickeln, ist die grösste Herausforderung, über allgemeine Überlegungen hinauszukommen und ein Programm mit konkreten und gut begründeten Vorschlägen zu formulieren. Es wird nicht reichen, die Klimakatastrophe durch Flugticketabgaben oder einen BLKB Klima Basket aufzuhalten versuchen. Die Treibhausgasemissionen müssen massiv reduziert werden und das wird ohne spürbare Einschränkungen nicht möglich sein. Dabei muss immer wieder aufgeworfen werden, dass sich nicht die Natur in der Krise befindet, sondern die Gesellschaft und ihre gestörte Beziehung zur übrigen Natur.

«Wenn nicht viel mehr getan wird als das, was wir im Moment zögerlich anpeilen, wird diese Erde in Teilen bald unbewohnbar sein», sagte ETH­Klimaforscher Reto Knutti unlängst in einem Gespräch mit der Republik. Aufhalten kann die Klimakatastrophe nur, wer die zu rettende Welt als veränderbar zu begreifen beginnt.

Wer die Kraft der bestehenden Klimagerechtigkeitsbewegung darauf reduziert, dass sie nun einigen Politiker*innen einen Sitz im nationalen Parlament verschafft hat, bleibt in den bestehenden Machtstrukturen gefangen. Die in letzter Zeit erstarkte Bewegung hat gezeigt, dass Veränderungen möglich sind, wenn sich viele Menschen zusammentun und für ihre Anliegen einstehen.

Und vielleicht ist genau dies der springende Punkt: Konkrete und wirkungsvolle Massnahmen müssen lokal und im Alltag verankert sein und basisdemokratisch diskutiert werden. Eventuell ist es an der Zeit, als Gemeinden, als Städte voranzugehen und mit emanzipatorischem, pragmatischem Vorgehen aufzuzeigen, dass es Alternativen gibt.

Einen Ansatz hierzu bietet auch die Klimastreikbewegung mit ihrer Lancierung des Klima­Aktionsplans. Während den nächsten Monaten sollen, in Zusammenarbeit mit Direktbetroffenen und Expert*­ innen aus allen Bereichen der Wissenschaft, Arbeitsgruppen zu den verschiedenen Sektoren konkrete Lösungsvorschläge erarbeiten und politische Massnahmen vorschlagen. «Der Klima­Aktionsplan soll eine realistische Utopie, eine konkrete Vision einer Gesellschaft ohne fossile Energien werden», steht auf der Homepage geschrieben.

Banken und Infrastruktur direkt blockieren

Einen anderen Weg schlägt das Collective Climate Justice ein. War es 2018 der Basler Ölhafen, wurden im Sommer 2019 in Basel und Zürich die UBS und Credit Suisse blockiert. Damit sollten den durch die Schweizer Grossbanken verantworteten, klimaschädlichen Investitionen ganz konkret ein Riegel geschoben werden. Fast 100 Aktivist*innen sind als Folge von massiver Repression betroffen und es ist mit hohen Gerichtskosten zu rechnen.

Dies ist ein Beispiel, das aufzeigt, dass der Weg hin zu einer nachhaltigen und solidarischen Gesellschaft kein einfacher wird. Unsere Gesellschaft steht als Ganzes vor einem tiefgreifenden Wandel. Das beinhaltet auch, dass immer wieder die Machtfrage gestellt wird.

Nicole Gisler und Nicolas Goepfert