„Wie wär’s mit etwas mehr Gleichheit und Gerechtigkeit?“

Seit 25 Jahren publiziert die Caritas jeweils zu Beginn des Jahres ihren Sozialalmanach zur sozialen Lage in der Schweiz. Der diesjährige Titel „Ungleichheit in der Schweiz“ beschreibt die aktuelle gesellschaftliche Problematik und diverse Autor:innen fokussieren in ihren Texten auf unterschiedliche Bereiche.

Die Übereinstimmung ist aber, dass die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft und zwischen Regionen und Nationen stetig zunimmt. Und dies, obwohl in den vergangenen 250 Jahren historisch betrachtet die Welt grosse Schritte zu mehr Gleichheit gemacht hat. Im aktuellen Buch von Thomas Piketty „Eine kurze Geschichte der Gleichheit“ kann diese Entwicklung nachgelesen werden. Der Kampf für die soziale Gerechtigkeit muss stetig fortgesetzt werden, da die kapitalistische Gesellschaft fortlaufend soziale Ungleichheit produziert bzw. auf diese angewiesen ist, damit die „Mega-Maschine“ am Laufen gehalten werden kann.

In der Schweiz steigt die Armut seit 2014 kontinuierlich an. Jede sechste Person und jedes fünfte Kind ist armutsgefährdet. Die Corona-Pandemie hat die sozialen Ungleichheiten mindestens kurzfristig weiter verschärft. Besonders Haushalte mit tiefen Einkommen und prekären Arbeitsbedingungen sind betroffen.

Steuerpolitik ist immer Umverteilung

Mit der Einführung von progressiven Steuern auf Einkommen und Vermögen sowie dem Aufbau des Sozialstaats nach dem zweiten Weltkrieg konnte bis in die achtziger Jahre eine Umverteilung zu mehr Gleichheit erreicht werden. Mit der weltweiten neoliberalen Wende der 1980er Jahre wurde die Richtungsänderung eingeläutet. Arbeitsmärkte wurden dereguliert, öffentliche Dienstleistungen privatisiert, die soziale Sicherheit abgebaut und Steuern für Unternehmen und auf hohe Einkommen und Vermögen gesenkt. Zehn Jahre später wurden die Finanzmärkte dereguliert – all dies führte dazu, dass die obersten Einkommensgruppen im Vergleich zu den mittleren und unteren überproportional profitierten. Die staatliche Umverteilung von oben nach unten wurde deutlich reduziert. Dieser Prozess ist noch nicht zu Ende und hat sich in den letzten Jahrzehnten weiter manifestiert.

Auch die diesen März verlorene Abstimmung zur Steuerreform in Basel-Stadt stand unter diesem Stern – auch wenn das Steuerpaket so geschnürt war, dass es ebenfalls zu steuerlichen Entlastung der unteren und mittleren Einkommensgruppen kam. Die zusätzliche Senkung der Vermögenssteuer und des Steuersatzes auf hohe Einkommen führen zu einer grösseren Ungleichheit. Die Position der Basler Regierung gegenüber der Umsetzung der OECD-Steuerreform wiederspiegelt dieselbe Logik – diese verschärft den interkantonalen Steuerwettbewerb und fördert somit die Ungleichheit zwischen reichen und armen Kantonen und Nationen.

Die Ungleichheit bei der Vermögensverteilung ist erschreckend

Vermögen sind weltweit stärker konzentriert als Einkommen. Dies trifft in besonderem Masse auf die reiche Schweiz zu.  Die Vermögensverteilung ist hierzulande eine der ungleichsten der Welt. Seit den 1990er-Jahren nimmt diese ungleiche Verteilung stetig zu. Das reichste Prozent der Steuerzahlenden besass vor dreissig Jahren rund 30% aller Vermögen – heute ist dieser Wert auf rund 45% gestiegen. Die Ungleichheit verschärft sich weiter, da die Einkommensstärksten Personen auch die höchsten Vermögen besitzen – somit konzentriert sich der Reichtum auf eine kleine Gruppe. Eine solche grosse Ungleichheit ist neben den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen vor allem auch ein staatspolitisches Problem. Diese Ungleichheit fördert die Oligarchisierung der Gesellschaft, und durch monetäre Zuwendungen werden Wahlen, Abstimmungen und die Medienberichterstattung beeinflusst. Dies ist für eine Demokratie schädlich und fördert die Ungleichheit.

Eine Erbschaftssteuer gegen das Abdriften in eine Erbengesellschaft ist notwendig

Heute sind mehr als die Hälfte aller Vermögen nicht selbst erwirtschaftet. Das erworbene Eigentum wurde also leistungslos vererbt oder verschenkt. Es dreht sich also um die Fragen: „Erbst du noch? Oder arbeitest du nur?» Es gibt ein Trend hin zu einem neuen Geldfeudalismus. Das Volumen an Erbschaften steigt stetig an und vergrössert die bestehende immense Vermögensungleichheit ständig weiter. Eine progressive Erbschaftssteuer für die Nachkommen und die Hinterlassenen wäre daher das beste Instrument, um einen Teil des Vermögens umzuverteilen.

Eine Erbschaftssteuer dient nicht nur zur Erzielung von mehr Staatseinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaates, welches verhindert, dass Reichtum über Generationen hinweg in den Händen weniger kumuliert. Selbst in der kapitalistischen Logik macht eine Eingrenzung Sinn. So wie durch Aufsicht und Regeln versucht wird, in der Wirtschaft Monopole zu verhindern, müsste auch die Konzentration von Vermögen in wenigen Familien-Dynastien verhindert werden.

Es verwundert nicht, dass Ökonom:innen die Erbschaftssteuer als geeignetste Steuer zur Eindämmung der sozialen Ungleichheit bezeichnen. Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften ist sie beliebt, da sie kaum Auswirkungen auf die wirtschaftliche Tätigkeit hat und eine hohe Umverteilungswirkung erzielt. Im Jahr 2022 werden in der Schweiz voraussichtlich rund 88 Milliarden Franken vererbt und verschenkt. Im europäischen Vergleich ist die Besteuerung in der Schweiz sehr tief.  Mit rund 1.4 Milliarden Franken an Einnahmen aus der Erbschaftssteuer kann 2022 gerechnet werden, was pro vererbtem Franken  1.6 Rappen ergibt. Im Jahr 1990 betrug der Ertrag aus der Erbschaftssteuer noch durchschnittlich 4.3 Rappen pro Franken. Offensichtlich wurden Vermögen und Erbschaften in den letzten 30 Jahren erheblich steuerlich entlastet.

Mit  den Killerargumenten „Steuerwettbewerb“ und «Abwanderungsgefahr» wurde in den letzten drei Jahrzehnten der Boden gelegt, um sämtliche  Bestrebungen etwas zu ändern im Keime zu ersticken. So argumentiert u.a. auch die Finanzdirektorin des Kantons Basel-Stadt auf meine schriftliche Anfrage zu einer möglichen Erbschaftssteuer vom August 2022. Diese Argumentation hält gezielteren Untersuchungen jedoch nicht stand. Das Erbschaftssteuersubstrat reagiert kaum auf Veränderungen bei der kantonalen Besteuerung. Umzüge von wohlhabenden älteren Steuerzahlenden aufgrund einer aufgehobenen oder eingeführten Erbschaftssteuer sind nicht der Rede wert. Und trotzdem wurde 2015 die Initiative zur Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer mit 71 Prozent Nein-Stimmen deutlich abgelehnt. Es sind vor allem psychologische und kulturelle Gründe, welche die grosse Ablehnung erklären. Eine objektive, rationale und wertfreie Information ist von grosser Bedeutung, um eine Abstimmung zur Erbschaftssteuer zu gewinnen – denn mit einer „Tax the Rich-Kampagne“ ist das nicht zu erreichen, da viele Menschen die Idee des eigenen erwirtschafteten Reichtums völlig überschätzen.

Initiative für kantonale Erbschaftssteuer ist in Vorbereitung

Die Idee einer Wiedereinführung der Erbschaftssteuer im Kanton Basel-Stadt beschäftigt die AG Umverteilung seit letztem Jahr. Das Referendum gegen die Steuervorlage diesen März hat den Prozess kurzfristig unterbrochen. Nun werden wir diesen Prozess abschliessen und dieses Jahr unsere kantonale Initiative für eine Wieder-Einführung einer Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen lancieren. Ein Teil der Einnahmen aus der Erbschaftssteuer könnte einem Klimagerechtigkeits-Fonds zugeführt werden, um die notwendigen Klimaziele finanziell zu unterstützen.


Literaturhinweise:

Sozialalmanach Ungleichheit in der Schweiz, 2023, Caritas Schweiz, Caritas-Verlag, Luzern
Eine kurze Geschichte der Gleichheit, Thomas Piketty, 2022, Verlag C.H. Beck, München


Oliver Bolliger, Grossrat BastA!