"Rassistische Polizeikontrollen müssen gestoppt werden!" Nicola Goepfert im Interview

Nicola Goepfert ist schon lange politisch aktiv. Sei es als Präsident bei March Against Syngenta, Geschäftsführer für den Schweizerischen Zivildienstverband CIVIVA oder als Sekretär bei Plateforme sans-papier Suisse. Ausserdem ist er im Vorstand von BastA! und neu seit dem 14. Juni 2022 im Grossrat. Eine gute Gelegenheit Nicola etwas besser kennenzulernen.
In der Recherche und dem Vorgespräch finde ich heraus, dass er jahrelang in der Pfadi aktiv war, viele J&S Ausbildungen gemacht hat, als Snowboard- und Skilehrer tätig ist und zwischenzeitlich auch noch Coach war. Gleichzeitig hat er sich auch für Politik interessiert. Mit einem Vater und einem Onkel im Grossrat für die SP, war Politik immer schon ein Thema zu Hause gewesen. Die Politikwelt und das Vereinsleben scheinen stets präsent in seiner Jugend gewesen zu sein. Vielleicht kein Zufall? Wie Kevin Kühnert einmal in einem Interview sagte: „Eigentlich ist die Partei auch ein riesen Verein.“
Was hast du von deiner Vereinserfahrung mit in die Politik genommen?
Aus der Pfadi kann ich ganz viel mitnehmen: Projekte planen, für Ideen einstehen, vor Leuten reden, Verantwortung übernehmen, etc.
Und wie hast du mit Politik angefangen?
So richtig bin ich Anfang zwanzig über die Migrationspolitik eingestiegen. Über die Idee eines Cafés gegen Foodwaste bin ich auf das EVZ, das Empfangs- und Verfahrenszentrum gestossen, also das heutige Bundesasylzentrum. Anstatt dem Café habe ich dann dort Pilotprojekte mit asylsuchenden Personen zusammen gemacht. Dabei stand Zusammenarbeit auf Augenhöhe im Zentrum und nicht der Ansatz, wie können wir euch helfen. Es sollte wirklich zum Austausch kommen.
Du hast an der Uni Bern Sozialwissenschaften, (ein Kombinationsstudiengang aus Politik-, Medienwissenschaften und Soziologie) studiert. Was ist für dich herausgestochen?
Ich legte meinen Schwerpunkt auf politische Kommunikation und Meinungsbildungsprozess und dort wurde mir klar, dass wir in unseren Meinungen gar nicht so festgefahren sind. Es gibt Kipppunkte in Gesellschaften, an denen die öffentliche Meinung umschwingt. Das zeigte mir, dass Meinungen nicht gegeben sind und es einen Handlungsspielraum gibt.
Kannst du ein Beispiel von so einer Kipppunktsituation zu geben?
Zum Beispiel in den USA, als die öffentliche Meinung zum Vietnamkrieg von Pro zu Contra drehte. Da hat man in der Forschung zwei wichtige Indikatoren festgemacht: Erstens das politische Wissen und zweitens das Bewusstsein für ein Thema. Je grösser diese Werte sind, desto stabiler ist deine Meinung. Als sich in den USA ein gesellschaftliches Bewusstsein für diesen Krieg entwickelte (Berichte über Tet-Offensive), änderte sich damit die öffentliche Meinung. Auch dank Menschen, die sich hingestellt und Kritik geäussert haben, welche anschlussfähig wurde.
Du hast einmal in einem Interview gesagt: „Ich möchte darauf achten, dass Solidarität nicht zur Worthülse verkommt, sondern der Kern meines Handelns ist.“ Was bedeutet Solidarität eigentlich für dich?
Im Kern bedeutet es für mich, dass jeder Mensch gleiche Rechte und damit gleichen Wert hat. Dass man sich den eigenen Privilegien bewusst ist, diese nicht für selbstverständlich hält und deshalb auch keinen Anspruch darauf hat. Aus dieser Haltung heraus heisst dann Solidarität, dass du Menschen, die diese Privilegien nicht haben unterstützt, sie handlungsfähig machst, also empowerst.
Du bist Präsident von March Against Syngenta, einem enorm grossen und enorm problematischen Konzern. Was motiviert dich gegen so einen Riesen anzugehen?
Es ist ein sehr spannendes Beispiel eines Konzerns, der jetzt zwar China gehört, aber lokal ansässig ist und global handelt und offensichtlich viel Dreck am Stecken hat mit seiner Giftwirtschaft für Grossgrundbetreiber und ihren Monokulturen. Es gibt auch den Fall Keno, da wurde ein Gewerkschaftsführer von einer Sicherheitsfirma von Syngenta umgebracht. Da wurde Syngenta vor nicht allzu langer Zeit schuldig gesprochen. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass unsere Verantwortung nicht an der Landesgrenze aufhört. Denn wir profitieren von Syngentas Steuern, also tragen wir auch Verantwortung. Und zudem merken wir als Bewegung, wie erfolgreich wir sind. Der Ruf von Syngenta hat sich in Basel massiv verschlechtert und wir wissen, dass sie den Druck spüren, wenn sie zu Hause hinterfragt werden.
Wie gerade beschrieben, bist du stark ausserparlamentarisch aktiv. Was für Unterschiede in der Herangehensweise merkst du, jetzt als Parlamentarier?
Bewegungspolitik bedeutet einerseits kurzfristige Reaktion auf Probleme und andererseits Visionen zu erarbeiten. Im Parlament bewegt man sich in einem festen System und sucht nach einzelnen Punkten, die man verbessern kann. In denen Bereichen, in denen ich aktiv bin, Migrationspolitik z. B. sehe ich nicht, dass die Lösung aus dem Parlament kommt. Sie macht es vielleicht besser, aber sie wird nicht sagen, kein Mensch ist illegal.
Warum hast du dich dann für den parlamentarischen Weg entschieden?
Weil ich glaube, dass es beides braucht. Wir leben in einer Gesellschaft die von der Realpolitik beeinflusst wird. Sie prägt den Alltag von uns allen. Und ich habe das Privileg auf dieser Ebene Einfluss zu nehmen. Das möchte ich nutzen, um einiges besser zu machen. Zum Beispiel, wenn die Mietpreise steigen, dann möchte ich mich nicht davor verschliessen.
Was wird für dich herausfordernd?
Ich möchte meine Haltung bewahren und gleichzeitig im Parlament handlungsfähig bleiben und ich glaube das wird manchmal sehr herausfordern.
Und was möchtest du erreichen?
Es gibt verschiedene Bereiche, in denen ich schon zuvor aktiv war, wo ich auch im Parlament genau hinschauen möchte. Mein Engagement für die Rechte von Sans-Papiers, gegen die zunehmende Repression oder unverantwortliche Konzerne wird weitergehen. Ein wichtiges Ziel von mir ist zum Beispiel, dass in Basel keine rassistische Polizeikontrollen mehr durchgeführt werden.
Das Interview führte Helma Pöppel, junges grünes bündnis nordwest