Nein zur Initiative für ein Tier- und Menschen‐ versuchsverbot
Es ist ein ethisches Dilemma: Lassen wir Versuchstiere leiden und sterben, lassen wir zu, dass Menschen bei einer medizinischen Studie Substanzen einnehmen, diemöglicherweise starke Nebenwirkungen haben, oder nehmen wir in Kauf, dass Menschen weiterhin an Krankheiten sterben, die mit dem Fortschritt der Medizin vielleicht heilbar wären? Beide Szenarien sind mit Leiden und Tod verbunden. Keine Lösung ist nur einfach gut. Man würde sich wünschen, dass die Politik bei solchen Graubereichsdiskussionen genau abwägt, viel Feingefühl zeigt und auf die Expert:innen hört. Die Initianten:innen der Tier und Menschenversuchsverbotsinitiative aber argumentieren mit krassen emotionalen Bildern und Halbwissen. Ich erlaube mir deshalb, vorerst auch mit einer Anekdote anzufangen.
Als ich 2010 meinen Master in Psychologie an der Universität Warschau verteidigt habe, gab es im Keller der psychologischen Fakultät Versuchsratten. Diese habe ich nie gesehen, da der Zugang dazu nur einigen wenigen gewährt war – damit die Tiere nicht gestört werden. Im Keller fanden Beobachtungsstudien statt, bei denen Lernfähigkeiten mit verschiedenen Aufgaben geprüft wurden. Dank solcher Studien wissen wir zum Beispiel, wie Tiere Informationen speichern und wiederverwenden. Wir wissen, wie intelligent welche Arten sind und wie empathisch und elaboriert sie sein können. Dank Forschung war es den Menschen zum Beispiel möglich, viele Tierarten als fühlende Wesen einzustufen und entsprechende rechtliche Massnahmen gegen Tierleiden überhaupt erst einzuleiten.
Ich selbst habe damals für den Master auch ein kleines Experiment gemacht – natürlich, wie gesagt, nicht an Ratten, sondern an den Psychologiestudierenden. Die Proband:innen haben sich freiwillig gemeldet und bekamen für die Teilnahme ein Entgelt. Ich wollte mithilfe eines Computerprogramms schauen, wie schnell sie verschiedenen Menschentypen gewisse Emotionen zuschreiben und ob sie dabei bei manchen Figuren eher an komplexere menschliche Emotionen denken, bei anderen dafür an simple, auch bei Tieren vorhandene Zustände. (Tun sie. Die Emotionen wie Stolz, Verachtung, Entzücken wurden in kleinsten Millisekunden einer polnischen Ärztin zugeschrieben, einem Inuit-Jäger oder einer obdachlosen Person dagegen sehr langsam.) Über solche Studien wissen wir, wie unsere Gehirne kategorisieren und Vorurteile bilden und dass so etwas wie innerer Rassismus tatsächlich existiert.
Für alle diese Studien musste beim Studiendesign ein Antrag an die Ethikkommission mitgedacht werden, und nur nach einem positiven Entscheid durften die Proband:innen gesucht werden. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis musste ich sehr minutiös und logisch begründen. Bei Ratten, die nicht einwilligen können, war es noch viel schwieriger, eine Genehmigung zu bekommen. Das war nichts für eine Masterarbeit.
Wir wissen es alle, es gibt auch Studien, bei denen Tiere Schmerzen oder körperlichen Schaden erleiden. Bei nicht wenigen Versuchen sterben die kleinen Probanden. Dadurch wissen wir zum Beispiel, welche Medikamente bei Krebs nicht geholfen haben, oder welche Dosis einer Substanz giftig ist, bevor wir sie an einer menschlichen Kontrollgruppe ausprobieren.
Die Tierversuchsverbotinitiative verlangt ein komplettes Verbot von Tierversuchen sowie auch von Forschung an Menschen – und das unabhängig vom Schweregrad. Meine Masterarbeit oder das Beobachten der spielerisch lernenden Ratten wäre daher untersagt. Diese Initiative ist auf keinen Fall mit der (gleichzeitig zur Abstimmung kommenden) Primateninitiative zu verwechseln. Es geht um ein radikales Verbot sowohl der Forschung mittels Tier und Menschenversuchen, als auch des Imports von Produkten, die auf solcher Forschung beruhen.
Die Initiant:innen argumentieren, dass auch nach einer Annahme der Initiative weiterhin Forschung möglich wäre, also zum Beispiel medizinische Studien mit Simulatoren, Obduktionen verstorbener Menschen und Tiere, computergestützte Analyseverfahren oder epidemiologischen Studien. Diese Argumentation hält nur dann Stand, wenn wir die ganze statistische Methode verleugnen. Unsere Modelle sind mit jedem Jahr präziser und differenzierter, aber immer nur das – Modelle. Da sie der Wirklichkeit nie ganz gerecht werden, können wir uns auf die mathematischen Analysen nicht ganz verlassen. Wie bei chemischen Reaktionen braucht es auch in der Medizin tatsächliche Versuche, und zwar mit einer bestimmten Zahl an Wiederholungen, damit wir sagen können, dass unsere Hypothesen tatsächlich bestätigt wurden.
Das methodische Nonplusultra in der medizinischen Forschung heisst: die randomisierte kontrollierte Studie. Dazu braucht es genau das, was der Namen verrät: einen geplanten kontrollierten Versuch mit einer Gruppe, die genügend gross ist, damit statistische Fehler ausgeschlossen werden können, und begleitet von (mindestens) einer Kontrollgruppe. Die Zuteilung in eine von den beiden Gruppen muss zufällig sein, am besten so, dass weder die Versuchsleitung (z.B. Ärzt:innen) noch die Studienteilnehmenden Kenntnis über die jeweilige Gruppenzugehörigkeit haben (Doppelblindstudie).
Ich will nicht sagen, dass heute alles ok ist und kein unnötiges Leiden passiert. An vielen Orten könnte sicher noch optimiert werden – und muss! Sowohl BastA! als auch unsere politischen Bündnispartner setzen sich aktiv dafür ein, weitere Ideen zu entwickeln und durchzubringen. Die Initiative «Ja zum Tier und Menschenversuchsverbot» hingegen verführt mit simplen, aber untauglichen Lösungsvorschlägen und ist nicht zukunftsweisend.
Miriam Wieteska