Klimagerechtigkeit

Es ist ein regnerischer Freitagmorgen im Oktober. Ich sitze im Tram und scrolle gelangweilt durch meinen LinkedIn-Feed. Jemand hat im Hinblick auf die drohende Energiekrise schon mal die Kühltruhe ausser Betrieb genommen. Ich lächle wohlwollend und scrolle noch ein bisschen weiter bis ich zwei-, drei Posts später auf die Meldung stosse, dass ein Grossverteiler ein neues, rekordgrosses Kühlhaus baut und irrsinnig stolz darauf zu sein scheint.

Von Energiekrise kein Wort… noch nicht einmal etwas in Richtung Nachhaltigkeit oder zumindest Energieeffizienz steht da. Es ist ein Muster, welches ich schon sehr oft beobachtet habe: Die Menschen haben den Ernst der Lage erfasst, bemühen sich, den für sie best­möglichen Beitrag zu leisten… und dann…kommt irgendein industrieller Betrieb und macht die Bemühungen tausender enga­gierter Menschen auf einen Schlag wieder zunichte. Natürlich nicht, ohne besagten Menschen die volle Verantwortung dafür postwendend wieder abzutreten. Denn wir sind ja alle Konsument:innen.
Dieselben Grossbetriebe sind es dann auch, die über ihre Lobbyverbände und die bürgerlichen Parteien jeweils als allererste grossspurig verkünden, wie unrealistisch eine Initiative wie Basel2030 doch sei. Dabei werden unsere heutigen Konsum- und Energieexzesse einfach linear in die Zukunft skaliert. Wenn uns die gegenwärtige Energie­knappheit etwas vor Augen führen sollte, dann die Endlichkeit von Ressourcen. Nicht nur von Erdöl und Erdgas, sondern auch von Baustoffen, von bewirtbarem Land, von sauberem Trinkwasser und so weiter.

Zurzeit opfern wir das alles ohne mit der Wimper zu zucken der kapitalistischen Wachstumslogik. Diese Logik, die uns ständig daran erinnert, dass wir in der Vergangenheit über unsere Verhältnisse gelebt haben und uns weiszumachen versucht, die einzige Möglichkeit das wieder­gutzumachen bestehe darin, in Zukunft noch mehr über unsere Verhältnisse zu leben. Dass das nicht mehr lange aufgehen kann, sollte wohl allen klar sein. Und dennoch tun sich viele Menschen schwer, dies zu akzeptieren, denn die Zukunft ist ungewiss und es droht ein Wohlstandverlust.

Dieser Wohlstand scheint ein Killerkriterium zu sein. Müssen wir da auch nur geringste Einbussen hinnehmen, geht scheinbar alles den Bach runter. Dass «Wohlstand» eher ein subjektives Gefühl als tatsächliche Kaufkraft beschreibt, macht es umso schwieriger dagegen anzukommen. Dabei heisst das im Umkehrschluss auch, dass Wohlstand durchaus immateriell sein kann: Zum Beispiel in Form von Zeit. Zeit für Freunde, Familie und die Dinge die uns Freude machen. Unter dem Strich steigt unser Wohlstand insgesamt sogar, je mehr wir auf jenen materiellen Pseudowohlstand ver­zichten, den wir als derart essenziell erachten und für den zu erhalten wir in Kauf nehmen unser Klima und damit die Lebensgrundlage der jüngeren sowie allen folgenden Genera­tionen nachhaltig zu zerstören.

An dieser Stelle wollen wir uns nochmal vor Augen führen, was Basel2030 genau fordert: Im Sinne der Klimagerechtigkeit soll der Kanton Basel-Stadt netto null bis spätestens 2030 erreichen. Das heisst, uns blieben noch sieben Jahre uns darauf vorzubereiten, weniger Treibhausemissionen zu verursachen als unsere CO2-Senken aufnehmen können. Wenn man bedenkt, dass wir im selben Zeitraum noch einen neuen Autobahntunnel, ein Hafenbecken, einen S-Bahn-Tunnel und viele weitere ähnliche Grossprojekte verwirklichen möchten, dann scheint dieses Ziel tatsächlich sehr ehrgeizig zu sein.
Aber eben nur, wenn man nicht bereit ist, die aktuellen Exzesse zu hinterfragen. Und wenn man dazu nicht bereit ist, ist man noch nicht bereit sich Klimaziele zu setzen.

Die megalomanische Denkweise, die hinter all diesen Projekten steht, wird nicht zum Erreichen der Klimaneutralität 2037 und noch nicht mal 2050 führen. Am Ende ist es eine reine Willenssache ob und wann wir netto null erreichen werden. Nach all den guten Vorsätzen, die sich die Basler Regierung in den letzten Jahren gemacht hat, wird es nun langsam Zeit, zu den gut gemeinten Worten zu stehen und endlich handfeste Taten folgen zu lassen.

Wenn wir International von Klima­gerech­tigkeit sprechen, geht es darum, dass reiche Industrieländer als Haupt­verursacher der vergangenen und aktuellen Treibhaus­gasemissionen ihre Hausaufgaben frühzeitig erledigen, zugunsten des globalen Südens. Doch Klimagerechtigkeit hat für mich auch eine lokale Komponente: Erstens, weil wieder einmal die einkommensschwächeren Schichten überpropotional unter den bereits spürbaren Auswirkungen des Klimawandels leiden. Und zweitens, weil der Umbau hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft und sozialer Ausgleich eigentlich Hand in Hand gehen würden: Das naheliegendste Beispiel hierfür ist, dass Wohnraum langfristig bezahlbar bleibt, wenn Bausubstanz erhalten statt neugebaut wird. Aber grundsätzlich gilt: Je mehr sich eine Wirtschaft an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, desto klimafreundlicher ist sie auch.

In einem Umfeld von steigender Inflation bei gleichzeitig stagnierenden Renten und Löhnen wird die Situation für die lohnabhängige Klasse ohnehin zunehmend prekär. Umso wichtiger ist, dass wir jetzt entschieden vorgehen und uns nicht von den immer gleichen neoliberalen Versprechungen und Drohkulissen beirren lassen, die sich bisher noch nie erfüllt haben und auch in Zukunft nur noch mehr Schaden verursachen werden.
Sagen wir nein zu der Logik, die uns in diese Situation geführt hat. Sagen wir JA zu einem guten Klima! Lasst uns unsere Stadt und unsere Gesellschaft gemeinsam neu denken, sodass wir uns alle hier wohl fühlen und auch folgende Generationen ein suffizientes, erfülltes Leben leben können.


Hugo Fox, AG BastA! 2030