Ist Kunst wertvoll?

Gedanken zum neuen Kulturleitbild von Bettina von Bogen

Abfotografiert aus Ausstellungskatalog Cy Twombly Study for Presence of a Myth 1959 , Öffentliche Kunstsammlung Basel, Kunstmuseum

Ein grundsätzliches Problem bei der Kulturförderung ist es, daß der Wert von Kunst nicht messbar ist, weder in Geld noch in Zentimetern oder Arbeitsplätzen oder Bruttoinlandsprodukt.

Für unser aufgeklärtes Denken steht die Zahl im Mittelpunkt, denn was ich zählen kann, kann ich messen, also vergleichen und bewerten. Und ich kann es teilen und mitteilen. Statt ein Gesetzt zu schreiben, Autos dürfen nicht zu schnell fahren, kann ich schreiben, dass sie 80 kmh nicht überschreiten dürfen. Ein Rechtsstaat lässt sich ohne Zahlen nicht organisieren.

Es gibt aber Ereignisse, die sich nicht in Zahlen definieren lassen, schon deshalb nicht, weil es das Wesen der Definition ist, die Ereignisse einzugrenzen. Grenzenloses, wie Gefühle und Gedanken, Unfassbares, wie das Leben oder die Unendlichkeit sind nicht messbare und dennoch überaus wesentliche Faktoren unseres Daseins. Es ist die Kunst, die uns die Möglichkeit gibt, solche Ereignisse zu reflektieren und zu verarbeiten. Leider wird dies immer stärker unterschätzt. Wir sollen unser
Bedürfnis nach Erhabenheit und Transzendenz im Kaufhaus „befriedigen“ und „Wachstum“ generieren und wissen doch, daß uns auf diese Weise ein sehr wichtiger Teil unserer Kultur abhanden kommt.

Wie können wir hier eine Schnittstelle finden, über die wir als Gesellschaft zwischen einem deterministisch geprägtem Staatshaushalt und dem gefühlten Verlust von Lebensqualität verhandeln können?

Womit kann ein Kulturbeauftragter seine Budgetforderung rechtfertigen? Misst sich der Erfolg von Kulturpolitik an der Anzahl der verkauften Eintrittskarten? Im Kulturleitbild wird dies angeregt: „…Insgesamt soll sich das Kulturangebot verstärkt an den Bedürfnissen des Publikums ausrichten.“ Dieses führt zum Einen dazu, daß das Niveau der geförderten Kunst sinkt, gefälliger, anspruchsloser, dekorativer wird, andererseits ein Klientel bedient, welches den Besuch einer Theater-, Ballettoder
Opernaufführung als Statussymbol missbraucht, oft ohne inhaltliches Verständnis des Gebotenen.

Ist der Wert von Kunst über seinen Verkaufswert zu ermitteln? Ein Van Gogh kann Millionen auf der Auktion erzielen, aber als er es malte, bekam er dafür nicht genug zum Leben. Er wurde damals nicht gekauft, weil sich die potenziellen Käufer nicht die Mühe machten, seine Bilder zu verstehen und jetzt wird er gekauft, weil sehr reiche Leute, die nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Geld - für Museen sind diese Bilder und deren Lagerung mittlerweile unerschwinglich - in der in seiner Einzigartigkeit und Unwiederbringlichkeit verbrieften Leinwand eine „nachhaltige“ Investition sehen.
Das, was in unseren Köpfen vor sich geht, wenn wir vor einem Werk stehen, das uns überwältigt, lässt sich nicht beziffern.

Es wird immer von einer „Aufgabe“ der Kunst bzw. des Künstlers geredet, der Künstler, der etwas vermitteln will. Aber Kunst ist eben gerade nicht irgendeine Aufgabe, sie ist erst dann Kunst, wenn sie zweckfrei bleibt und erst im Rezeptienten seinen Sinn findet. Ansonsten ist es Gebrauchskunst oder Design, schöne Form, gelungene Darstellung, wohlklingende Pausenmelodie. Der Marktwert einer Performance von Marina Abramoviç oder Joseph Beuys ist ersteinmal gleich null, ein Zweck lässt sich nicht erkennen, (man redet dann gerne abfällig von „Provokation“, als erschöpfe sich darin der ganze
Inhalt) aber ihr Einfluss auf die Gesellschaft ist immens.

Wieviel Geld ist uns das wert?

Wir glauben, ein Künstler arbeite ja garnicht richtig, weil wir gelernt haben, daß Aquarellmalen ein Hobby ist, Theaterspielen mehr Spaß macht, als Mathe büffeln und Romane zur Entspannung dienen. Und wer selbst welche schreibt, lebt in einer Kate am Meer oder sitzt in Talkshows rum. „Das kann ich auch!“ denkt ja wohl jeder, der vor einem Werk von Cy Twombly, Jackson Pollock oder Marc Rothko steht. Weit gefehlt. Einer meiner Lieblingssätze überhaupt ist von dem Bühnenkünstler
Karl Valentin überliefert: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit!

Wenn wir nicht bereit sind, uns die Kultur etwas kosten zu lassen, übernehmen UBS, Roche und Google das für uns. Google bietet zum Beispiel kostenlose Digitalisierung von Buchbeständen öffentlicher Bibliotheken an, was, wenn man weiterdenkt, dazu führt, daß auf lange Sicht die kostenintensive Pflege des physischen Bibliotheksbestandes inakzeptabel erscheint. Ist es so abwegig zu denken, dass dies, bei entsprechendem politischem Hintergrund, zu einem Monopol, bzw. Zensur führen und eine Gefahr für die Demokratie werden kann?

Bettina von Bogen