„Eine Heldengeschichte mehr“

Impressionen vom Frauen*streiktag von Martin Flückiger

Wo bin ich hier eigentlich? frage ich mich, als ich oben an der Treppe zur Johanniterbrücke angekommen bin. Ein absurdes Szenario: Polizist*innen in Kampfmontur, rot-weisse Absperrbänder, Polizeiautos mitten auf der Strasse. Und jenseits der Absperrung demonstrierende Frauen, eingekesselt auf der Johanniterbrücke. Denn auf der Grossbaslerseite der Brücke ist die Situation noch martialischer, noch mehr Polizei, noch mehr Kastenwagen, kein Durchkommen.

Eine Polizistin fährt mich in barschem Ton an: „Gehen Sie hier weg!“ „Und warum sollte ich das tun?“, antworte ich, „ich stehe hier ja auf öffentlichem Grund!“ „Weil ich es Ihnen sage!“, erwidert sie. Ich schalte auf stur. Die Polizistin konsultiert einen Berufskollegen und stellt sich dann wieder in die Reihe der Ordnungsmacht, stumm, aber mit feindseligem Blick.

Inzwischen sind immer mehr Frauen und Männer am Kleinbasler Brückenkopf zusammengekommen. Den Demonstrantinnen werden über die Absperrung hinweg Getränkeflaschen zugeworfen. Auch einzelne Polizisten betätigen sich als Überbringer von Getränken und Snacks. „Was ist eigentlich ihr Auftrag?“, fragt ein Mann eine Polizistin. „Das steht in der Verfassung“, sagt diese. Was sie nicht sagt, ist, dass auch „die Versammlungs-, Vereinigungs- und Kundgebungsfreiheit“ in der Basler Verfassung garantiert sind, und dass es in ebendieser Verfassung heisst: „Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt und verhältnismässig sein.“ Nun könnte man zwar sagen, dass das Grundrecht Dritter, mit dem ÖV von Kleinbasel nach Grossbasel zu fahren oder umgekehrt, durch die Demonstrierenden verletzt worden sei. Ohne den Polizeieinsatz hätte diese Einschränkung allenfalls 30 bis 40 Minuten gedauert, dank des rigiden Durchgreifens der Ordnungskräfte dauerte sie aber volle drei Stunden!

Die Polizei hat uns nun ca. zehn Meter zurückgedrängt und ein zweites Absperrband montiert. Wer ist hier eigentlich eingekesselt? frage ich mich leicht amüsiert, denn die Ordnungskräfte sind nun im Sandwich zwischen Demonstrierenden und solidarischen Frauen und Männern. Doch die auf uns und die Demonstrierenden gerichteten Gummischrotgewehre machen deutlich, wer hier die Macht hat. Als meine Partnerin einen Polizisten fotografieren will, der das Gewehr direkt auf uns gerichtet hat, dreht dieser seine Waffe blitzschnell zur Seite.

Eine Frau kommt aus dem Wohnblock, der den Kleinbasler Brückenkopf ziert. „Worum geht es hier eigentlich?“, fragt sie. Dann liest sie die Slogans auf den Transparenten. „Gut“, sagt sie, „gegen das Patriarchat kann man sein, gegen den Kapitalismus auch, aber Feminismus? Ich bin für Gleichberechtigung. Das hat aber mit Feminismus nichts zu tun!“

Immer wieder werden über die Absperrungen hinweg Slogans skandiert: „Siamo tutti antifascisti“ oder „So-So-Solidairität!“ und so weiter. Hinter mir schreit eine Frau: „Männer, Maul halten, das ist eine Frauendemo!“ Als das Partisanenlied „Bella ciao“ angestimmt wird, singe ich trotzdem mit.

Langsam lichten sich die Reihen der Demonstrierenden. Die Frauen werden jeweils zu zweit von Polizist*innen in Vollmontur abgeführt, zur Aufnahme ihrer Personalien. Der Fichenstaat braucht eben neues Material, und unter den Demonstrierenden waren viele junge Frauen, die vielleicht noch nicht in den umfangreichen Akten des Staatsschutzes fungieren.

Auf dem Nachhauseweg rufe ich zwei motorisierten Verkehrspolizisten am Erasmusplatz zu: „Dieser Einsatz wird in die Heldengeschichte der Basler Polizei eingehen!“ Der eine Polizist lacht. „Eine Heldengeschichte mehr!“, sagt er.

Ich komme ins Grübeln. Wie ist das nun mit der Demonstrationsfreiheit? Ist Freiheit, die nur garantiert ist, wenn die Obrigkeit das zulässt, nicht ein Widerspruch in sich selbst?

Martin Flückiger