Danilo Dolci - Gandhi von Sizilien

In dieser und den nächsten Ausgaben des BastA!-Bulletins wollen wir euch Alternativen zum Kapitalismus vorstellen. Transformatorische Konzepte, Gedanken über eine Welt nach dem Kapitalismus und gelebte Alternativideen. Für diese Serie freuen wir uns über Diskussionsbeiträge, aber auch Inputs von euch.

Trappeto ist ein sizilianisches Fischerdorf. Hier befindet sich seit über 50 Jahren ein berühmt gewordenes Friedenszentrum, das derzeit restauriert und am 28. Juni 2024 neu eröffnet wird, dem 100. Geburtstag von Danilo Dolci (1924-1997).

Trappeto liegt 50 Kilometer von Palermo entfernt. Die Bevölkerung zählt 3000 Personen. Sie lebt auch von der Landwirtschaft und dem Tourismus. Die Cembalistin Daniela Dolci stammt von dort. Sie studierte an der Schola Cantorum Basiliensis, dirigierte bislang das Ensemble Musica Fiorita und engagierte sich auch im Basler Universitätsrat. Eigentlich wohnt die vielseitige Musikerin in Oberwil (BL). Derzeit reist sie aber fast jede zweite Woche nach Sizilien, um mit Hilfe von Freunden und Gleichgesinnten das Werk ihres Vaters zu reaktivieren. Er setzte sich zeitlebens für Arme und gegen Gewalt ein. Medien nannten ihn Gandhi von Sizilien.

Pazifist und Sozialreformer

In der Provinz Triest geboren, kam Danilo Dolci schon als Jugendlicher ins Gefängnis, weil er Mussolini-Plakate entfernte und den Militärdienst verweigerte. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er Architektur in Mailand, unterrichtete an einer Abendschule für Werktätige und setzte sich, von einem Priester inspiriert, immer mehr für verwaiste Kinder ein.
Statt für Privilegierte schöne Häuser zu bauen, zog sich Danilo Dolci 1952 ins ärmliche Trappeto zurück, wo sein Vater einst dem Bahnhof vorstand. Hier wollte Danilo Dolci selbst möglichst einfach leben und wenig Bemittelte unterstützen. „Wie kannst Du glücklich sein, wenn rings um dich Hunger und Elend deine Brüder aufzehren“, schrieb er schon 1948 in seinem Buch über Stufen des Glücks (L’ascesa alla felicità). Er veröffentlichte darin eigene Aphorismen. Die Luganer Tageszeitung würdigte sein Dichten.
In Trappeto durchfloss ein offener Abwasserkanal die Hauptstrasse. Landarbeitende konnten ihre Familie kaum ernähren. Die Kindersterblichkeit lag bei zehn Prozent. Ein Mädchen starb an Unterernährung. Danilo Dolci trat deshalb in einen ersten Hungerstreik, bis die Behörden genug Trinkwasser garantierten. Mit Arbeitslosen baute er Abwasserkanäle, Unterkünfte und Tagesstätten. Einige Häuser seien selbst für Kühe unzumutbar, bemängelte er. Zudem könnten etliche Zehnjährige und Ältere nicht einmal ihren Namen schreiben.
Danilo Dolci erhielt für seine spitze Feder und soziale Arbeit auch Preise und Geld. Er nutzte diese Mittel für weitere Recherchen, regionale Studienzentren, schulische und gesundheitliche Einrichtungen. Um karge Felder zu bewirtschaften, verwirklichte er mit Landarbeitenden einen Stausee für fünftausend Familien. Dabei legte er sich mit der Mafia an, die zuvor das Wasser monopolisierte. Inzwischen ist die Zahl der Stauseen auf 12 angestiegen. Gegen Gewalt organisierte er auch immer wieder Kundgebungen. Ein Friedensmarsch erstreckte sich mit 40‘000 Teilnehmenden über 700 Kilometer.

Gewaltfreie Kommunikation

1968 bauten Danilo Dolci und Mitarbeitende in Trappeto ein kulturelles Begegnungs- und Friedenszentrum auf, das vorwiegend als Ausbildungs- und Tagungsstätte diente. Ansässige und Interessierte aus aller Welt tauschten sich hier aus über gewaltfreie Kommunikation sowie über Wege und Möglichkeiten, wie gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen auf demokratische Weise herbeigeführt werden könnten. Immer spielten dabei die Anliegen der Bevölkerung, urbane Planung und pädagogische Aspekte eine wichtige Rolle . Auch Violinist Yehudi Menuhin trat auf und unterstützte Dolci, der etwas später mit einem eigenen Rundfunk die regionale Information gegen zentrale Monopole stärkte.
Danilo Dolci verstand die gewaltlose Kommunikation als revolutionäre Aktion. Er postulierte, konsequent abzurüsten, fair zu handeln und den (Welt-)Hunger zu stillen (To Feed the Hungry, 1955). Mehrmals wurde er für den Friedensnobelpreis nominiert. Schriftsteller und Intellektuelle wie Erich Fromm, Bertrand Russell oder Jean-Paul Sartre unterstützten ihn. Die Berner Universität verlieh ihm 1968 den Ehrendoktor. Und im selben Jahr veröffentlichte er seine Schrift: Was bedeutet Frieden?

Frieden erfordert laut Dolci keineswegs, zu allen gleiche Distanz zu wahren. Zumal Ausbeutung, Waffen und tödliche Investitionen unterschiedlich verteilt seien. Ein enges Menschenbild erachte Kriege als einzige Möglichkeit, Konflikte zu bewältigen. Eine freiheitliche Moral setze indes kulturelle Kräfte frei. Und diese wirkten nachhaltiger denn materielle. Sie führten von einer autoritären zu einer plurizentrischen Welt. Zur gewaltfreien Transformation gehöre auch eine sokratisch fragende (mäeutische) Kommunikation. Das offene Explorieren begünstige ein soziales Hin-und-Her, ohne andere voreilig zu bewerten und sich über sie zu erheben. Gelingende Interaktion verlange Respekt, kritische Selbst-Reflexion und das Bemühen, dem erstrebten Frieden schon unterwegs zu folgen.

Für eine gerechtere Welt

Was Dolci mit Gandhi verbinde, erwähnte die Schweizerische Zeitschrift Neue Wege bereits 1958 (im Heft 52/2); nämlich die Bereitschaft, gewaltlos zu handeln, einfach zu leben, Not zu teilen und sich mit Benachteiligten zusammen für eine gerechtere Welt einzusetzen.

Im Basler Bulletin „Freunde von Danilo Dolci“ (49/1977) würdigte auch Psychoanalytiker Erich Fromm, wie Dolci schöpferische Energien freisetze, indem er auf Zwang verzichte, Interesse wecke und an vorhandene Ressourcen anknüpfe. Statt sich aufzudrängen und andere zu manipulieren, versuche er, soziale Wesen und Zusammenhänge verstehend zu ergründen. Dieser Zugang qualifiziert die soziale Umsetzung und Praxis.

Erich Fromm typisierte auch (in: Haben oder Sein, 1976) ein menschliches Verhalten, an dem sich Danilo Dolci ebenfalls orientierte. Fromm plädierte dafür, das Besitz erpichte Haben-Wollen aufzugeben, sich mehr selbst zu vertrauen, dem Leben einen eigenen Sinn zu geben, zu teilen, gegenwärtig zu leben, keine Idole zu verehren, die Natur zu schützen und den Frieden umfassend zu erforschen. Danilo Dolci versuchte das. Nach seinem Tod (1997) schädigten rechte Vandalen das Zentrum; auch 2018, nach der letzten Teilsanierung (2014). Für die Wieder-Eröffnung (2024) sind nun weitere Vorkehrungen nötig. Das Areal umfasst 10‘000 Quadratmeter, der Gebäudekomplex 3‘000 Quadratmeter. „Das beste Mittel ist“, sagt die Initiantin Daniela Dolci, „wenn das Zentrum künftig wieder täglich lebt. Und da sind wir zuversichtlich. Wir freuen uns über die reichlichen Ideen und Partnerschaften für Ausbildung, Forschung und Veranstaltungen.“

Ueli Mäder