AHV21 - Das bügeln wir nicht weg!
Als mich Ella aus der JuSo zum ersten Mal nach meiner Meinung zur AHV 21 fragte, und ich ihr scheu meine Meinung sagte, war sie fassungslos. Wie ich denn Feministin sein und gleichzeitig so etwas unterstützen könnte? Sie rechnete mir vor, wie viel Franken Rente jede Frau dadurch im Durchschnitt verlieren würde, erklärte mir die strukturelle Ungerechtigkeit der Frau in unserer Gesellschaft und natürlich zählte sie auch die vielen Stunden unbezahlte Care-Arbeit auf.
Ich weiss von all diesen Problemen. Ich bin mir bewusst, dass wir im Patriarchat leben. Ich möchte dieses System abschaffen. Aber tue ich das, indem ich Nein zur AHV 21 sage?
Erstmal um das klarzustellen: Ich gehöre nicht zu denen, die zuerst gleiche Pflichten und danach gleiche Rechte fordert. Das ist Bullshit und fördert nur weiter die patriarchalen Strukturen. Aber ich gehöre auch nicht zu denen, die alles ablehnen solange es nicht der eigenen Vision entspricht. Da hätten wir zum Beispiel das CO2-Gesetz. Eine Vorlage, die nicht annähernd konform mit dem Pariser Klimaabkommen war und gleichzeitig zu wenig sozialen Ausgleich berücksichtigte. Aber ich sagte Ja und war erschüttert über die knappe Ablehnung. Denn jetzt stehen wir ganz ohne Plan und Reduktionspfade da.
Genau davor graute es mir auch bei dieser Abstimmung. Einmal mehr ohne Konzept vor einem Berg voller Probleme zu stehen. Denn eine gesicherte Altersvorsorge wollte ich nicht missen. Dafür würde ich auch in den sauren Apfel beissen und einmal mehr zusätzlich Pflichten auf mich nehmen. Für das gemeinsame Wohl.
Bis mir irgendwann dämmerte, dass wir vielleicht gar kein Geldproblem bei der AHV haben. Es begann mit einem langen und sehr detailreichen Vortrag der Grünen Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber zur Altersvorsorge im Allgemeinen. Ich gebe zu, ich habe nur etwa 80% verstanden, aber drei Sachen gingen mir nicht mehr aus dem Kopf.
- Es gibt kein AHV Loch
- Rente ist rein politisch definiert und frei von jeder Logik
- Deshalb müssen wir unbedingt die neue Vorlagen bekämpfen
Weil ich keine Meinung vertrete, die ich nicht rational erklären kann, war ich danach nicht überzeugt, sondern vor allem verwirrt. Wie kann es sein, wenn alle vor den leeren AHV-Kassen warnen, dass sie uns auf einer Grafik zeigt, dass es zwar kurzfristig ein Finanzierungsproblem gäbe, aber langfristig alles gut ist. Und weshalb erklärt sie jede Weiterentwicklung der AHV mit dem Durchsetzungsvermögen einer Interessensgruppe? Als wäre dieses Thema reine Machtdemonstration. Während diese Fragen in meinem Kopf herumschwirrten, kamen tausend andere Dinge dazu, wie zum Beispiel die Matur und ich schob das Thema erstmal auf. Ich hätte ja noch Zeit bis zur Abstimmung.
Nur irgendwann kam der Moment, in dem wir als linke Jungpartei angefragt wurden, dem Referendumskomitee beizutreten. Das Thema war wieder aktuell. Es stellte sich heraus, dass fast alle in unserem Vorstand ziemlich unentschlossen waren, was die Abstimmung anging. Klar, sind die Frauen viel stärker davon betroffen, aber würde eine Einzige der Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen, wie Lohnungleichheit und unbezahlte Care-Arbeit durch ein Nein aufgelöst? Für mich war klar: Der Status Quo bliebe erhalten, während die AHV immer weiter ins Minus ginge. Ich fragte mich, wie sehr ich auf meinen feministischen Prinzipien beharren müsse, wenn wir in einer Notsituation sind, die alle betrifft, und die durch ein Jahr mehr Arbeit gelöst werden kann.
Dann kam der Input von Benjamin Plüss. Auch hier begann er mit dem Argument der Ungerechtigkeit gegenüber den Frauen - das mich bis heute nicht richtig überzeugt - aber dann zeigte er Berechnungen und zwei weitere mir bis dahin unbekannte Aspekte der neuen Vorlagen. Zuerst löst die AHV 21 nicht einmal das kurzfristige Finanzierungsproblem. Es lindert die Finanzierungslücke von 15 Milliarden Franken lediglich um drei Milliarden. Dann kommt hinzu, dass die Mehrwertsteuer um 0.4% erhöht werden soll,, was Menschen mit wenig Einkommen viel härter trifft und dass 65 Jahre als Referenzalter gelten soll. Das heisst, dass von da an, ohne grosse Debatte, das Rentenalter auf 67 Jahre erhöht werden kann. Gleichzeitig zeigte er uns andere Finanzierungsmodelle der AHV auf, beispielsweise durch die Renditen der Nationalbank. Der Knoten in meinem Kopf begann sich langsam zu lösen. Es fehlt nicht an Geld und daher gibt es auch kein AHV Loch. Woran es mangelt, ist Einigkeit darüber, woher das nötige Geld kommen soll. Deshalb hat Katharina Prelicz-Huber auch von Anfang an betont, dass die Rente rein politisch Kämpfe wiederspiegelt. Die Frage lautet nicht, wie können wir die beste Altersvorsorge für alle ermöglichen, sondern wer setzt sich durch.
Ich hasse es, wenn es in politischen Debatten schlussendlich nur noch darum geht. Vielleicht stand ich auch deshalb so lange zur neuen Vorlage. Ich kann wenig mit Sprüchen wie „Hände weg, von unseren Renten“ anfangen. Wenn politische Themen emotional oder ideologisch bearbeitet werden, schrecke ich zurück. Ich mag Zahlen und kühle Analysen. Und das hat mich diesmal in die Irre geführt. Mir schien es, als handle es sich bei der AHV 21 um einen etwas unangenehmen, aber rational erklärbaren Kompromiss. Aber ich hatte nicht das ganze Bild vor Augen. Ich wusste nicht, wie lang und intensiv schon um diese Vorlage gerungen wurde, wie viele andere, bessere Lösungen vom Tisch gefegt wurden und wie wenig dieser Plan helfen würde.
Ich werde nun Nein am 25. September stimmen. Nicht, wegen der Angleichung des Rentenalters der Frauen, sondern weil diese Vorlage keine Lösung bringt. Ich werde Nein sagen, weil die AHV 21 das strukturelle Problem der Finanzierung der Altersvorsorge aufschiebt mithilfe des Geldes und der Zeit der Ärmeren. Und das kann nicht sein!
Helma Pöppel, junges grünes bündnis nordwest